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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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hätten Freunde von den Kindern draufgesessen. Er wollte mir einen ganz neuen Sockel verkaufen. Aber ich habe einfach ein Stück Holz unter das Bein geschoben. Problem gelöst.»
    Bald traf Gesellschaft ein. Ein stimmgewaltiger Cousin namens Doats in einer Schottenhose, seine Frau Dinky, eine blaustichige Blonde mit Zähnen wie im Spätwerk von de Kooning, außerdem ihre kleinen Kinder und ein dicker Setter, Nap.
    Madeleine ging auf die Knie, um Nap zu begrüßen, kraulte ihm das Fell und schmuste mit ihm.
    «Nap ist ja vielleicht dick geworden!», sagte sie.
    «Weißt du, woran das vermutlich liegt?», sagte Doats. «Dass er kastriert ist. Nap ist ein Eunuch. Und Eunuchen waren schon immer berühmt für ihre Fülle, oder?»
    Madeleines Schwester Alwyn und ihr Ehemann, Blake Higgins, kamen gegen eins. Alton bereitete die Cocktails zu, während Mitchell sich beim Feuermachen als nützlich erwies.
    Das Thanksgiving-Essen verging in einem Nebel nachgefüllter Gläser und scherzhafter Trinksprüche. Anschließend begaben sich alle in die Bibliothek, wo Alton anfing, Portwein auszuschenken. Das Feuer war heruntergebrannt, und Mitchell ging nach draußen, um neues Holz zu holen. Zu diesem Zeitpunkt bekümmerte ihn nichts. Er schaute durch die Zweige der Weymouthskiefern in den sternenklaren Nachthimmel. Er war mitten in New Jersey, aber es hätte der Schwarzwald sein können. Mitchell mochte das Haus. Er mochte die Grandezza dieses ganzen wohlanständigen, sauflustigen Hanna-Unternehmens. Als er mit einem Stoß Brennholz zurückkehrte, hörte er Musik. Madeleine spielte Klavier, während Alton dazu sang. Es war etwas, was sich «Til» nannte, ein Lieblingsstück der Familie. Alton hatte eine erstaunlich gute Stimme; in Yale hatte er in einem A-cappella-Chor gesungen. Madeleine klimperte mit den Akkorden ein wenig hinterher. Aufs Notenlesen konzentriert, rutschte ihr die Brille von der Nase. Sie hatte ihre Schuhe abgestreift und trat barfuß die Pedale.
    Mitchell blieb das ganze Wochenende. Am letzten Abend in Prettybrook, als er in seinem Gästezimmer unterm Dach lesend im Bett lag, hörte er die Flurtür aufgehen und dann Füße, die sich die Treppe hinaufbewegten. Madeleine klopfte leise bei ihm an und trat ein.
    Sie trug ein Lawrenceville- T-Shirt und sonst nichts. Ihre Oberschenkel, im ersten Moment auf einer Höhe mit Mitchells Kopf, waren etwas voller, als er erwartet hatte.
    Sie setzte sich auf die Bettkante.
    Als sie ihn fragte, was er lese, musste Mitchell nachsehen, um sich an den Titel des Buches zu erinnern. Er war sich seiner Nacktheit unter dem dünnen Laken wunderbar und fürchterlich bewusst. Er spürte, dass Madeleine sich ihrer ebenfalls bewusst war. Er dachte daran, sie zu küssen. Einen Augenblick lang dachte er, Madeleine würde
ihn
küssen. Aber dann, weil Madeleine es nicht tat, weil er ein Gast des Hauses war und ihre Eltern unten schliefen, weil Mitchell in diesem glorreichen Moment das Gefühl hatte, sein Glück sei gemacht und er könne sich für diesen Schritt alle Zeit der Welt lassen, tat er nichts. Schließlich stand Madeleine, offenbar vage enttäuscht, auf. Sie stieg die Treppe hinunter und löschte das Licht.
    Als sie gegangen war, ließ Mitchell die Szene vor seinem geistigen Auge noch einmal abrollen, nur stellte er sich ein anderes Ende vor. Um das Bett nicht zu besudeln, steuerte er die Toilette an und stieß dabei gegen eine ausrangierte Federkern-Untermatratze, die mit Gepolter umfiel. Als wieder Stille herrschte, setzte er seinen Weg fort. Er spritzte seine Ladung ins winzige Waschbecken der Mansarde und ließ den Wasserhahn laufen, bis der letzte verräterische Glibber weggespült war.
    Am nächsten Morgen nahmen sie den Zug zurück nach Providence, liefen zusammen den College Hill hinauf, umarmten sich und gingen auseinander. Ein paar Tage später schaute Mitchell bei Madeleine vorbei. Sie war nicht im Zimmer. Jemand namens Billy hatte eine Nachricht auf ihre Tafel geschrieben: «Tarkowsky läuft um 19.30 im Sayles. Einabsolutes Muss (mit Kuss).» Mitchell hinterließ, ohne seinen Namen darunterzusetzen, ein Zitat aus dem Gerty-Mc-Dowell-Abschnitt in
Ulysses
: «Dann barst die Leuchtkugelröhre auseinander und es war wie ein seufzendes O! und alles schrie O! und O! in Verzückung und es ergoss sich daraus ein Strom goldregnender Haarfäden   …»
    Eine Woche verstrich, und er hörte nichts von Madeleine. Wenn er anrief, meldete sich niemand.
    Er ging noch einmal zum Wohnheim.

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