Die Liebeshandlung
für verblendet, für lächerlich. Madeleine hätte das Gleiche gedacht, wenn es denn eine der beiden gewesen wäre, die sich derart verzehrte. Liebesleid ist für jeden komisch, außer für den, der an der Liebe leidet.
«Gib mir mein Buch», sagte sie.
«Du kriegst es, wenn du mit zur Party kommst.»
Madeleine verstand, weshalb die anderen ihre Gefühle bagatellisierten. Sie waren nie verliebt gewesen, nicht richtig. Sie hatten keine Ahnung, was in ihr vorging.
«Morgen ist die Collegeabschlussfeier!», flehte Olivia. «Das ist unser letzter Abend. Da kannst du doch nicht auf deinem Zimmer bleiben!»
Madeleine wandte den Blick ab und rieb sich das Gesicht. «Wie spät ist es?», fragte sie.
«Zehn.»
«Ich habe nicht geduscht.»
«Wir warten.»
«Ich habe nichts anzuziehen.»
«Du kannst eins von meinen Kleidern nehmen.»
Sie standen da, hilfsbereit und drängelnd zugleich.
«Gib mir das Buch», sagte Madeleine.
«Nur wenn du mitkommst.»
Madeleine gab nach. «Okay! Ich gehe mit.»
Widerstrebend händigte Abby ihr das Taschenbuch aus.
Madeleine starrte auf den Umschlag. «Was, wenn Leonard da ist?», fragte sie.
«Wird er nicht», sagte Abby.
«Und was, wenn doch?»
Abby blickte woandershin und wiederholte: «Glaub mir. Bestimmt nicht.»
Lollie und Pookie Ames wohnten in einem maroden Haus an der Lloyd Avenue. Als Madeleine und ihre Mitbewohnerinnen sich, unter tropfenden Ulmen, auf dem Bürgersteig näherten, schlugen ihnen von drinnen dröhnende Bässe und alkoholgelöste Stimmen entgegen. Kerzen flackerten hinter den beschlagenen Fenstern.
Sie steckten ihre Schirme hinter die Fahrräder auf der Veranda und traten durch die Eingangstür. Im Haus roch es warm und feucht wie in einem biergeschwängerten Regenwald. Die Flohmarktmöbel waren an die Wände gerückt, damit man tanzen konnte. Jeff Trombley, der den DJ machte, beleuchtete den Plattenteller mit einer Taschenlampe, deren Lichtstrahl auch auf ein Sandino-Poster an der Wand hinter ihm fiel.
«Ihr geht vor», sagte Madeleine. «Gebt mir Bescheid, wenn ihr Leonard seht.»
Abby verzog das Gesicht: «Ich hab dir doch gesagt, er ist nicht hier.»
«Könnte trotzdem sein.»
«Warum sollte er? Er mag Menschen nicht. Tut mir leid, aber jetzt, wo ihr Schluss gemacht habt, muss ich’s einfach sagen: Leonard ist nicht ganz normal. Er ist seltsam.»
«Ist er nicht», widersprach Madeleine.
«Würdest du bitte endlich drüber wegkommen? Würdest du es wenigstens
versuchen
?»
Olivia zündete sich eine Zigarette an und sagte: «Mein Gott, wenn ich Angst hätte, einem meiner Verflossenen zu begegnen, könnte ich nirgendwo mehr hingehen!»
«Okay, vergiss es», sagte Madeleine. «Gehen wir rein.»
«Na endlich!», sagte Abby. «Stürzen wir uns ins Vergnügen. Es ist unser letzter Abend.»
Trotz der lauten Musik tanzte kaum jemand. Tony Perotti, in einem Plasmatics- T-Shirt , pogte ganz allein, mitten auf der freigeräumten Fläche. Debbie Boonstock, Carrie Mox und Stacy Henkel tanzten im Kreis um Marc Wheeland. Wheeland trug ein weißes T-Shirt und Baggy-Shorts. Er hatte strotzende Waden. Und strotzende Schultern. Während die drei Mädchen vor ihm herumhüpften, starrte er auf den Boden und stampfte mit den Füßen, wobei er hin und wieder (das war der Tanzpart) minimal seine muskelbepackten Arme hob.
«Wie lange gebt ihr Wheeland noch, bis er sein Hemd auszieht?», sagte Abby, als sie durch den Flur gingen.
«So etwa zwei Minuten», sagte Olivia.
Die Küche sah aus wie etwas in einem U-Boot -Film, dunkel, eng, sich schlängelnde Rohre an der Decke und ein feuchter Boden. Madeleine trat auf Kronkorken, als sie sich durchs Gedränge quetschte.
An der einzigen freien Stelle ganz hinten in der Küche angelangt, wurde ihnen klar, dass der Grund, weshalb da niemand stand, ein stinkendes Katzenklo war.
«Igitt!», sagte Olivia.
«Machen die das Teil denn nie sauber?», sagte Abby.
Ein Typ mit Baseballkappe hatte sich eigentümermäßig vor dem Kühlschrank aufgebaut. Als Abby den aufmachte, warnte er: «Die Grolsch sind meine.»
«Wie bitte?»
«Nimm nicht die Grolsch. Das sind meine.»
«Ich dachte, das wäre eine Party», sagte Abby.
«Ja, ist es auch», sagte er. «Aber alle bringen immer nur einheimisches Bier mit. Ich habe importiertes mitgebracht.»
Olivia richtete sich zu ihrer stattlichen Skandinavierinnengröße auf und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. «Als wollten wir überhaupt Bier», sagte sie.
Sie bückte
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