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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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ertragen. Zwei Wochen lang schaffte Madeleine es nicht einmal zur Post. Schließlich zwang sie sich, hinzugehen und ihr überfülltes Fach zu leeren, aber von Yale war immer noch kein Brief dabei.
    Es kamen jedoch Antworten auf ihre anderen Bewerbungen. Die ES L-Organisation schickte eine überschwängliche Zusage («Herzlichen Glückwunsch, Madeleine!») samt einem Anmeldeformular für Lehrer und dem Namen der chinesischen Provinz, Shandong, wo sie unterrichten würde. Ein Packen Informationsmaterial lag bei, der verschiedene fettgedruckte Sätze enthielt, die Madeleine ins Auge sprangen:
     
    Die sanitären Anlagen (Duschen, Toiletten usw.) mögen etwas gewöhnungsbedürftig sein, aber am Ende sind die meisten unserer Lehrer begeistert von diesem «einfachen Leben».
    Die chinesische Ernährung ist sehr vielfältig, vor allem im Vergleich zum amerikanischen Speiseplan. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie nach ein paar Monaten in Ihrem Aufnahmedorf mit Genuss Schlange essen!
     
    Sie schickte das Anmeldeformular nicht zurück.
    Zwei Tage später erhielt sie über die Campuspost eine Absage von der Melvin-und-Hetty-Greenberg-Stiftung, in der stand, sie werde das Stipendium für die Hebräisch-Sommerakademie in Jerusalem nicht bekommen.
    Wieder in ihrer Wohnung, sah Madeleine sich mit dem Stapel Umzugskartons konfrontiert. Eine Woche vor dem Aus mit Leonard war ihm vom Pilgrim-Lake-Laboratorium grünes Licht gegeben worden. Als eine, wie es damals schien, bedeutsame Geste hatte er vorgeschlagen, dass sie in dem Apartment, das ihm als Stipendiaten kostenlos zur Verfügung stehen würde, zusammenleben sollten. Falls Madeleine in Yale angenommen würde, könnte sie an Wochenenden kommen; falls nicht, könnte sie den Winter über in Pilgrim Lake bleiben und sich erneut in Yale bewerben. Kurzerhand hatte Madeleine all ihre anderen Pläne abgeblasen und sich darangemacht, Kartons mit Büchern und Kleidung zu packen, die ins Labor vorausgeschickt werden sollten. Da sie sich nicht sicher gewesen war, wie weit es mit Leonards Gefühlen für sie ging, war sie über sein Angebot selig gewesen, was wiederum bei ihrem Liebesgeständnis ein paar Tage später eine große Rolle gespielt hatte. Und jetzt standen die Kisten als grausame Erinnerung an dieses Desaster in ihrem Zimmer und wurden nirgendwohin geschickt.
    Madeleine riss die Adressaufkleber ab und bugsierte die Kisten in die Ecke.
    Irgendwie lieferte sie ihre Jahresarbeit ab. Sie reichte ihre Hausarbeit für Semiotik 211 ein, versäumte allerdings, sie nach der Prüfungszeit wieder abzuholen, um Zippersteins Kommentare und ihre Note zu sehen.
    Als das Graduierungswochenende nahte, tat Madeleine ihr Bestes, es zu ignorieren. Abby und Olivia hatten versucht,sie zum Campus Dance zu lotsen, aber wegen des Gewitters, das über die Stadt hinwegrollte und Stürme mit sich brachte, die Cocktailtische umbliesen und die bunten Laternenketten zerfetzten, mussten die Festlichkeiten nach drinnen, in irgendeine Turnhalle, verlegt werden, und niemand, den sie kannten, ging hin. Aus der Notwendigkeit heraus, ihre Familien zu beschäftigen, hatten Abby und Olivia darauf bestanden, Samstagnachmittag zum Clambake mit Präsident Swearer zu gehen, ihre Eltern jedoch nach einer halben Stunde wieder ins Hotel geschickt. Am Sonntagmorgen schwänzten sie alle drei die Bakkalaureatsfeier in der First Baptist Church. Abends um neun war Madeleine in ihrem Zimmer, eingeigelt mit der
Sprache der Liebe
, die sie nicht las, nur nahe bei sich haben wollte.
    Es war kein Frische-Betten-Tag. Es war schon lange kein Frische-Betten-Tag mehr gewesen.
    Es klopfte an ihrer Tür.
    «Sekunde.» Madeleines Stimme klang kratzig vom Weinen. Sie hatte Schleim in der Kehle. «Herein», sagte sie.
    Die Tür ging auf, und da standen Abby und Olivia, Schulter an Schulter, wie eine Delegation.
    Abby schnellte vor und schnappte ihr den Roland Barthes weg.
    «Beschlagnahmt», sagte sie.
    «Gib’s wieder her.»
    «Du liest dieses Buch ja gar nicht», sagte Olivia. «Du suhlst dich drin.»
    «Ich habe gerade eine Arbeit darüber geschrieben. Ich wollte was nachsehen.»
    Abby versteckte das Buch hinter ihrem Rücken und schüttelte den Kopf. «Du kannst doch nicht ewig hier rumliegen und Trübsal blasen. Das Wochenende war ein totalerFlop. Aber heute Abend ist bei Lollie und Pookie eine Party, und da musst du mit. Los, raff dich auf!»
    Abby und Olivia glaubten, es wäre die Romantikerin in Madeleine, die weinte. Sie hielten sie

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