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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Leonard schwer in die Muschel atmete und seine Stimme zunehmend verzweifelt klang, während Auerbach nicht mehr wusste, was er sagen sollte, und sich mit Ratschlägen behalf, die ihm selbst töricht vorkamen: Leonard müsse aufhören, dauernd an sich selbst zu denken, er solle nach draußen gehen und sich die blühenden Magnolien auf dem Rasen anschauen – habe er die Magnolien schon gesehen?   –, er solle vielleicht versuchen, seine Situation mit der anderer Leute zu vergleichen, die wirklich verzweifelt seien, südamerikanischer Goldschürfer oder Quadriplegiker oder Patienten mit fortgeschrittener MS, das Leben sei nicht so schwarz, wie Leonard es sich ausmale. Und dann tat Leonardetwas, was er noch nie getan hatte. Er legte einfach auf. Es war das erste Mal im Zuge seiner Telefonmanie, dass Leonard zuerst auflegte, und Auerbach bekam es mit der Angst. Er rief zurück, aber niemand ging dran. Schließlich, nachdem er mehrere Leute aus Leonards Bekanntenkreis angerufen hatte, beschloss er, in die Planet Street zu gehen, wo er Leonard in einem rasenden Zustand antraf. Mit Engelszungen überzeugte er ihn am Ende, sich zum Gesundheitsdienst bringen zu lassen, und der Arzt dort nahm Leonard für die Nacht auf. Am nächsten Tag schickten sie ihn ins Providence Hospital, in dessen psychiatrischer Abteilung er jetzt behandelt wurde.
    Mit mehr Zeit hätte Madeleine die unzähligen Emotionen, die sie jetzt überwältigten, vielleicht entwirren und benennen können. Im Vordergrund stand Panik. Dann kamen Verlegenheit und Ärger darüber, die Letzte zu sein, die es erfuhr. Aber unter allem anderen brodelte eine seltsame Auftriebskraft.
    «Ich kenne Leonard seit der ersten Diagnose», sagte Auerbach. «Am Anfang der Collegezeit. Es geht ihm gut, wenn er seine Medikamente nimmt. All die Jahre ging es ihm gut. Nur jetzt braucht er etwas Unterstützung. Das ist es eigentlich, weshalb ich angerufen habe.»
    «Danke», sagte Madeleine. «Ich bin froh, dass du es gemacht hast.»
    «Bisher haben ihm ein paar von uns die Stange gehalten, besuchszeitenweise. Aber heute packen alle ihre Sachen. Und   … ich weiß nicht   … ich bin mir sicher, Leonard würde sich freuen, dich zu sehen.»
    «Hat er das gesagt?»
    «
Gesagt
hat er es nicht. Aber ich war gestern Abend bei ihm und bin mir da ganz sicher.»
    Daraufhin gab Auerbach ihr die Krankenhausadresse mitder Telefonnummer des Pflegepersonals und verabschiedete sich.
    Madeleine wusste nun, was sie zu tun hatte. Entschlossen legte sie den Hörer auf und ging zielstrebig durch ihre Zimmertür ins Wohnzimmer zurück.
    Olivia hatte die Beine immer noch auf dem Couchtisch und ließ die Nägel trocknen. Abby schüttete einen pinkfarbenen Smoothie aus dem Mixer in ein Glas.
    «Ihr Verräter!», rief Madeleine.
    «Was?», sagte Abby überrascht.
    «Ihr wusstet es!», schrie Madeleine. «Ihr wusstet schon die ganze Zeit, dass Leonard im Krankenhaus ist! Darum habt ihr gesagt, er wäre nicht auf der Party.»
    Abby und Olivia wechselten einen Blick. Jede wartete darauf, dass die andere etwas sagte.
    «Ihr wusstet es und habt mir nichts gesagt!»
    «Wir wollten nur dein Bestes», sagte Abby mit besorgter Miene. «Wir wollten nicht, dass du dich aufregst und dich irgendwie da reinsteigerst. Du bist ja kaum noch in deine Kurse gegangen. Gerade warst du dabei, über Leonard hinwegzukommen, und da dachten wir   –»
    «Wie fändest du es wohl, wenn Whitney im Krankenhaus wäre, und ich würde es dir nicht sagen?»
    «Das ist was anderes», sagte Abby. «Du und Leonard, ihr habt Schluss gemacht. Ihr habt nicht mal mehr miteinander gesprochen.»
    «Das spielt keine Rolle.»
    «Aber ich bin noch mit Whitney
zusammen

    «Wie ist das möglich – ihr wusstet es und habt mir nichts gesagt?»
    «Okay», sagte Abby. «
Entschuldige
. Es tut uns wirklich leid.»
    «Ihr habt mich belogen.»
    Olivia schüttelte den Kopf; das wollte sie nicht auf sich sitzenlassen. «Leonard ist verrückt», sagte sie. «Begreifst du? Tut mir leid, Maddy, aber Leonard   … ist   … verrückt. Er wollte nicht aus seiner Wohnung! Sie mussten den Wachdienst rufen, um seine Tür aufzubrechen.»
    Diese Details waren neu. Madeleine registrierte sie zur späteren Analyse. «Leonard ist nicht verrückt», sagte sie. «Er ist nur depressiv. Das ist eine Krankheit.»
    Sie wusste nicht, ob es eine Krankheit war. Sie wusste rein gar nichts darüber. Aber die Geschwindigkeit, mit der sie diese Sicherheit aus der Luft griff,

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