Die Liebeshandlung
die erfolgreiche Bewerberin lässt weder Furcht noch Hast erkennen) nahm Madeleine ihn heraus.
Es war der Brief von Yale, zerrissen, in einer USP S-Plas tikhülle mit dem Aufdruck: «Dieser Postartikel wurde während der Beförderung beschädigt. Wir bitten die verzögerte Zustellung zu entschuldigen.»
Sie öffnete die Plastikversiegelung und zog behutsam, um ihn nicht noch weiter einzureißen, den Papierumschlag heraus. Er hatte sich in einer Sortiermaschine verfangen. Der Poststempel lautete «1. April 1982».
Die Poststelle des Faunce House wusste alles über Zulassungsbescheide. Jedes Jahr kam, von medizinischen Fakultäten, juristischen Fakultäten, von Masterprogrammen, eine ganze Flut herein. Studenten hatten, genau wie Madeleine jetzt, vor diesen Fächern gekniet und ihnen Briefe entnommen, die sie auf der Stelle in Rhodes-Stipendiaten, Senatorenberater, Nachwuchsreporter, an der Wharton School Immatrikulierte verwandelt hatten. Als Madeleine den Umschlag öffnete, fiel ihr auf, dass er nicht sehr schwer war.
Sehr geehrte Ms. Hanna,
wir möchten Ihnen mitteilen, dass unser Yale Graduate Program Ihnen für das kommende akademische Jahr 1982/83 keinen Studienplatz im Fachbereich Anglistik anbieten kann. Wir bekommen jedes Jahr zahlreiche qualifizierte Bewerbungen, denen wir zu unserem Bedauern nicht immer
Sie gab keinen Laut von sich. Ließ kein Zeichen der Enttäuschung erkennen. Sachte schloss sie ihr Postfach, verstellte die Ziffern und schritt, zu ihrer vollen Größe aufgerichtet,in tadelloser Haltung durch die Poststelle. An der Tür vollendete sie das vom USP S-Abfertigungszentrum begonnene Werk, indem sie den Brief entzweiriss und die Stücke in die Recycling-Tonne warf.
Die Studenten A, B, C und D haben sich an der Yale Graduate School beworben. Wenn A der Herausgeber von
The Harvard Crimson
ist, B ein Rhodes-Stipendiat, der im
Milton Quarterly
einen Aufsatz über
Das verlorene Paradies
veröffentlicht hat, C ein neunzehnjähriges Wunderkind aus England, das Russisch und Französisch spricht und in verwandtschaftlicher Beziehung zu Premierministerin Thatcher steht, und D eine Anglistik studierende Bachelor-Anwärterin, aus deren Bewerbungsunterlagen hervorgeht, dass sie eine So-lala-Arbeit über die Bindewörter im mittelenglischen Stabreimepos
The Pearl
geschrieben hat und im Logik-Teil der Zulassungsprüfung auf eine Punktzahl von 520 gekommen ist, wer von ihnen hat nicht den Hauch einer Chance, genommen zu werden?
Sie war schon im April, zwei Monate zuvor, abgelehnt worden. Ihr Schicksal war besiegelt gewesen, noch bevor sie mit Leonard Schluss gemacht hatte, was bedeutete, dass das Einzige, worauf sie in den letzten drei Wochen gesetzt hatte, um ihre Stimmung zu heben, eine Illusion gewesen war. Eine weitere entscheidende Information, die man ihr vorenthalten hatte.
Draußen wurden Rufe laut. Resigniert setzte Madeleine sich den schwarzen Hut wie eine Narrenkappe auf den Kopf. Sie verließ die Poststelle und ging die Treppe zum Rasenplatz hinauf.
Auf der weiten Grünfläche warteten Familien darauf, dass die Prozession anfing. Drei kleine Mädchen waren in den Bronzeschoß der Henry-Moore-Skulptur geklettert, lächeltenund kicherten, während ihr Vater im Gras kniete, um sie zu fotografieren. Gruppen von Alumni, die steife Strohhüte oder Brown-Baseballkappen mit dem Aufdruck ihres Abschlussjahrgangs trugen, wankten, Wiedersehen feiernd, umher.
Vor der Sayles Hall fingen Leute an zu jubeln. Als Madeleine hinschaute, wurde gerade ein altsteinzeitlicher Absolvent, eine Moorleiche von Alumnus, der in eine gestreifte Klubjacke gehüllt war, von einer Entourage blonder Enkel oder Urenkel ins Blickfeld geschoben. Von den Armlehnen seines Rollstuhls stieg ein Strauß Heliumballons in die Frühlingsluft, auf jedem roten Ballon stand in Braun «Abschlussjahrgang 09». Der alte Mann hielt seine Hand hoch, um den Applaus entgegenzunehmen. Er grinste mit langen, makabren Zähnen, und unter dem Beefeater-Hut, den er auf dem Kopf trug, leuchtete sein Gesicht vor Zufriedenheit.
Madeleine beobachtete den glücklichen Greis, bis er vorbeigezogen war. In diesem Moment gab die Kapelle den Auftakt zur Prozessionsmusik, und der Eröffnungsmarsch begann. Der firmenbossmäßige Universitätspräsident, jetzt in akademischer Samtkleidung mit Streifen und einem schlappen Medici-Hut, führte den Marsch, eine mittelalterliche Lanze in der Hand, an. Ihm folgten plutokratische Mitglieder des
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