Die Liebeslist
Petronilla war von rascher Auffassungsgabe und scharfem Verstand; nur verbarg sie das unter ihrer sorgsam gepflegten Selbstbeherrschung. Sie hatte es ihm angetan, und nicht nur das: Irgendwie, so sein Gefühl, lag immer ein dunkler, trauriger Ausdruck auf ihrem Gesicht. Und deshalb verspürte er auch den unerwarteten Drang, sie beschützen zu wollen. Wovor, das war ihm selbst ein Rätsel. Sie war ein feingliedriges, zierliches Persönchen; eigentlich brauchte so eine Frau einen starken Mann, der sie vor den Stürmen des Lebens behütete, oder? Ach, dummes Zeug! Trotzdem war er einer Erneuerung und Vertiefung der Bekanntschaft keineswegs abgeneigt.
Auf der Hälfte der Treppe von der Kemenate nach unten waren die zwei einen kurzen Augenblick unter sich, und das mitnichten rein zufällig.
„Werdet Ihr denn tatsächlich wiederkommen?“, wollte sie wissen.
„Ich glaube, es bleibt mir nichts anderes übrig.“ Eine rätselhafte Antwort, bei der die Lady fragend die Augenbrauen hob.
„Darf man erfahren, warum, Lord Hugh?“
„Um Euch wiederzusehen, meine Verehrteste.“ Im Gegensatz zu seiner sonstigen Abgeklärtheit und zu beider Erstaunen beugte er sich vor und gab der überaus verdutzten Lady einen sanften Kuss auf die Lippen. Ehe er neuerlich in Versuchung geriet und bevor Petronilla auch nur Luft holen konnte, eilte er schon die Stufen hinunter.
Als Rosamund ihre Mutter auf die rosa angehauchten Wangen und den Glanz in ihren Augen ansprach, erhielt sie von der Countess die schwer glaubhafte Antwort, sie sei zu schnell die Treppe hinaufgelaufen. Womit sie ihre scharfsinnige Tochter natürlich nicht hinters Licht führen konnte, denn überdies nestelte Petronilla auch noch fahrig und überflüssigerweise an ihren Kleid herum.
„Ich nehme an, Lord Hugh ist endgültig abgereist.“
„Ja.“ Für ihre Art ungewöhnlich abrupt nahm Petronilla ihre Stickerei auf, doch weder setzte sie sich hin, noch schien sie sonderlich zur Handarbeit aufgelegt.
„Bedauerst du das?“
„Ach was! Wie kommst du denn darauf?“
Rosamund verzichtete zwar auf weitere Bemerkungen, maß dieser Angelegenheit allerdings wenig Aussicht auf Erfolg bei. Was hatte ihre Mutter noch wenige Wochen zuvor gesagt? Zwei Ehemänner reichen? Rosamund konnte sich schlechterdings vorstellen, dass ihre Mutter sich durch die ungeschickten Annäherungsversuche eines graubärtigen Markgrafen beeindrucken ließ.
Sie schob den Gedanken beiseite und richtete ihr Augenmerk auf dringendere Probleme: ihre Privatgemächer. Eines der königlichen Schlösser hatte sie zwar noch nie von innen gesehen, aber sie hatte gehört, Königin Eleanor neige zu großer Prachtentfaltung. Selbst Erbin aus vermögendem Hause und vormals verheiratet mit König Louis von Frankreich, verstand sie etwas von einem Leben in Luxus. Und seit ihrer Ehe mit König Henry, den sie sechs Jahre zuvor geheiratet hatte, machte sie diesen Einfluss auch am englischen Königshof geltend.
„Erzähl mir doch noch einmal von der Kemenate der Königin in Woodstock“, bat sie ihre Mutter.
Das tat Petronilla denn auch, indem sie ein verlockendes Gemälde entstehen ließ: vertäfelte Wände, geflieste Böden, verglaste Fenster. Seidene Vorhänge und orientalische Teppiche versüßten Eleanor und ihren Hofdamen das Leben. Erhellt von duftenden Öllampen und erfüllt von Weihrauchduft, war die große Halle so eines Palastes meilenweit entfernt von dem zugigen, verräucherten Burgsaal Cliffords, in dem verrußte Pechfackeln qualmten.
Rosamund stand in der Kemenate, ihrem neuen Heim, und lauschte aufmerksam. Mit geschlossenen Augen malte sie sich aus, wie ihr Gemach einmal aussehen sollte. Ein Fest der Sinne. Natürlich nicht so prunkvoll wie das der Königin. Wehmütig verzog sie das Gesicht bei dem Gedanken daran, dass etwa ein feines Tischtuch wie das im königlichen Schloss hier im Burgsaal sowieso gleich von derben Händen verunstaltet werden würde. Sie seufzte. Clifford war nun ihr Zuhause, und hier in ihrer Kemenate gedachte sie sich ihr Reich zu gestalten – trotz der düsteren Aussicht jenseits der Mauern.
Als sie die Augen wieder aufschlug, fiel ihr eine Bewegung unmittelbar neben der Feuerstelle auf. Ein Schatten huschte an der Wand entlang. Eine graue Katze, nur wenig größer als ein Kätzchen, vermutlich aus den zahlreichen Würfen, die überall in den Stallungen und in der Küche zu finden waren. Mager und unverschämt dreist, untersuchte das Tier den kalten Kamin mit
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