Die Liebeslist
Frau niederließ? Wie sie die Aufgaben an sich riss, die zuvor Matilda oblagen? Und ausgerechnet ihr Adoptivvater, dessen Namen sie trug, der hatte die schreckliche Tat auf dem Gewissen!
Gervases Miene war undurchschaubar, der Blick verhüllt durch die gesenkten Lider. Nach außen hin hatte er sich vollkommen in der Gewalt – eine gekonnte Fassade.
Ach, hätte sie doch davon Kenntnis gehabt! Sicher, der Tod war allgegenwärtig, ob durch Zufall oder geplant, aber solch ein junges Leben auszulöschen, das war kaum zu ertragen. Das Herz wurde ihr schwer vor Kummer um ihn und jenes ihr unbekannte Mädchen.
„Mein Beileid.“ Henry durchbrach das Schweigen, das sich im Saal ausgebreitet hatte.
„Danke. Sie war blutjung, hatte einen solchen Tod nicht verdient. Sie stellte keinerlei Bedrohung dar für das Haus de Longspey oder dessen Pläne. Longspey hätte sie gefangen nehmen und mir gegen Lösegeld wieder ausliefern können. Er hatte kein Erbarmen.“
„Nein, eine Bedrohung war sie wahrhaftig nicht.“ Stirnrunzelnd beugte sich Henry noch einmal über die Pergamentrollen.
Wie mochte der König unter diesen Umständen entscheiden? Gervase konnte gewichtige Argumente ins Feld führen. Also: Um was ging es dem König in erster Linie? Um eine trutzige Feste gegen walisische Horden? Um alte kameradschaftliche Bande aus gemeinsamen Soldatentagen? Um das Andenken an Gervases tote Gemahlin? Sie würde es ihm nicht verdenken können, wenn er entschied, dass Gervase die Burg zustehe – zu entsetzlich war das, was Gervase ihres Vaters wegen hatte durchleiden müssen. Sie schlug den Blick nieder auf ihre ineinander verschlungenen Finger und harrte dem Urteil. Und als Petronilla ihr leicht mit der Hand über den Arm strich, da war sie dankbar.
Königin Eleanor neigte sich zur Seite und flüsterte ihrem Gemahl etwas ins Ohr. Henry nickte. Dann haute er mit der flachen Hand auf den Tisch, worauf alles erschrocken zu ihm herüberblickte. Mit seinen klugen Augen musterte er zunächst forschend Rosamund, dann Gervase.
„Es ergeht folgendes Urteil: Mir ist daran gelegen, diese Grenzfeste in starken Händen zu wissen. Das hier ist ein rebellischer, gefährlicher Landstrich, und zweifellos hat Fitz Osbern einen begründeten Anspruch.“ Rosamund wurde schon bang zumute. „Doch Eroberungen entwickeln ihre eigene Dynamik, wie ich weiß. Earl William hat die Burg im ehrenhaften Kampf genommen, das lässt sich nicht abstreiten. Deshalb durfte er sie auch in seinem Testament vererben. Wie zum Beispiel an Lady Rosamund.“ Er neigte den Kopf in ihre Richtung.
„In ehrenhaftem Kampf?“ Fitz Osbern fuhr regelrecht aus der Haut und wäre gewiss empört aufgesprungen, hätte Hugh ihn nicht am Ärmel festgehalten. „Von wegen ehrenhaft! Typisch de Longspey war das – mit List und Tücke! Warten, bis mein Vater außer Landes war, und dann …“
Henry gebot ihm mit erhobener Hand zu schweigen. „Euer verstorbener Vater hätte die Befestigungsanlagen eben nicht so vernachlässigen dürfen. Und was die erwähnten Umstände anbetrifft: Ihr, Fitz Osbern, habt doch selbst die Burg im Handstreich besetzt! Ihr habt Lady Rosamund einer erheblichen Notlage ausgesetzt, denn niemand konnte ihr zu Hilfe kommen. Sie sah sich so in die Enge getrieben, dass sie sich an mich wenden musste.“ Jetzt schaute er Gervase vorwurfsvoll an. „Das war nicht in Ordnung, Fitz Osbern. Ihr führtet einen brutalen Angriff auf die Lady durch …“
Nein! Es mochte unpassend erscheinen, aber nun regte sich in Rosamund der Widerspruch.
„Ihr habt gegen die Prinzipien der Ritterlichkeit gehandelt. Habt der Lady ihren Besitz gestohlen, ihre Rechte mit Füßen getreten und sie respektlos abgekanzelt. Das war eines Ritters und Edelmannes nicht würdig. Ihr habt ihr den verbrieften Gehorsam verweigert, kein Verständnis bewiesen für ihre Lage und sie rücksichtslos und abscheulich behandelt …“
Was war das? Respektlos? Notlage? Kein Verständnis? Eine ganze Auflistung von Vorwürfen, die Rosamund aus dem Munde des Königs auf einmal übertrieben, nahezu gegenstandslos erschienen.
„Nein! Das stimmt nicht!“
Nichts konnte Rosamund am Aufspringen hindern. Sie schüttelte auch die Hand ihrer Mutter ab, als sie ihre Tochter zurückhalten wollte. Mit wachsendem Entsetzen hatte sie sich die Vorwürfe des Königs angehört. Sicher, sie billigte Gervases Taten keineswegs, aber so ein … so ein Unmensch, als den ihn der König beschrieb, war er nicht. Im Übrigen
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