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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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klang merkwürdig gepresst, so als habe man die Pfeifen einer Orgel mit Speck verstopft. «Herr Stoki bekennt sich nicht schuldig.»
    Dann rief der Gerichtsdiener den Schutzmann herein, einen untersetzten Mann mittleren Alters mit einem beeindruckenden Schnurrbart, der erklärte, zu Stokis Wohnung gerufen worden zu sein, wo die Nachbarn sich über Geschrei und zerkrachende Möbel beschwert hätten; wo ihm Frau Stoki ihr blaues Auge gezeigt und eine Aussage gemacht habe, die er hier, in diesem Büchlein, Wort für Wort niedergeschrieben habe.
    «War Herr Stoki währenddessen nüchtern?»
    «Nein, Euer Ehren, Herr Stoki war währenddessen nicht nüchtern.»
    «Dann war Herr Stoki währenddessen betrunken?»
    «Oh, Herr Stoki war währenddessen zweifellos betrunken.»
    Stoki saß auf der Anklagebank, zog die Nase hoch und funkelte den Schutzmann böse an, wobei er abwechselnd mit den Schultern zuckte wie ein Boxer. Der Schutzmann gab sich unbeeindruckt und schniefte zurück.
    Vom Richterstuhl aus schwenkte Tibo seinen Füller, um Guillaume das Wort zu erteilen.
    «Wachtmeister, haben Sie gesehen, wie mein Mandant seine Frau geschlagen hat?», fragte der.
    Der Schutzmann schaukelte in seinen schweren, hohen Stiefeln vor und zurück. «Oh nein, um Gottes willen, Sir! Meiner Erfahrung nach können selbst jene, die unkontrollierbare Launen haben und nicht anders können, in Gegenwart eines Schutzmanns immer anders.»
    Tibo ermahnte ihn: «Beantworten Sie bitte die Frage, Wachtmeister.»
    «Nicht nötig, Euer Ehren, ich habe keine weiteren Fragen.» Guillaume walzte zu seinem Platz zurück, sank langsam wie ein Ballon nieder und saß plötzlich auf dem ächzenden, knarzenden, schwankenden Stuhl.
    «Es gibt nur eine Zeugin», sagte der Gerichtsdiener, «die Anklägerin.»
    Tibo erkannte sie wieder. Er sah sie jede Woche bei Gericht. Wenn der Gerichtsdiener von den «üblichen Säufern und geprügelten Ehefrauen» sprach, war sie üblicherweise die geprügelte Ehefrau. Sie war ihm vertraut – ein bleiches, verkniffenes Gespenst von einer Frau mit verhuschtem Blick und verkrampften Fäusten. Jede Woche wieder die gleiche Frau. Die gleichen Schläge. Die gleichen Tränen. Die gleichen Schreie. Wieder und wieder die gleiche Frau.
    Der gute Bürgermeister Krovic erstickte seine Wut und sprach sie mit tonloser, ruhiger Stimme an. «Frau Stoki, ich muss Sie darüber belehren, dass Sie nicht verpflichtet sind, gegen Ihren Mann auszusagen.»
    Stoki nickte ihr von der Anklagebank energisch zu und wischte sich geräuschvoll die Nase. Sie verstand die Geste.
    «Doch», sagte sie, «ich möchte aber.» Sie hob die Hand zum Schwur und trug Stück für Stück ihre Geschichte vor. Während sie sprach, huschten ihre Augen zwischen Tibo und dem Mann auf der Anklagebank hin und her.
    Nein, ihr Mann sei nicht betrunken gewesen. Nein, er habe den Abend nicht außer Haus verbracht. Ja, man habe sich gestritten, aber das sei allein ihre Schuld gewesen. Es sei nicht der Rede wert. Sie habe an ihm herumgenörgelt. Nein, er habe sie auf keinen Fall geschlagen.
    Tibo sah, wie die Hand ausholte.
    Ja, der Stuhl sei zerbrochen, aber nur, weil sie unglücklich darüber gestolpert sei. Sie war immer so ungeschickt, immer stolperte sie und zerbrach Dinge.
    Tibo hörte den Schlag. Tibo sah sie stürzen.
    Es handele sich um ein Missverständnis. Die Nachbarn hätten sich grundlos aufgeregt. Stoki sei ein guter Mann, ein guter Ehemann.
    Tibo sah einen kleinen Jungen mit erhobenen Fäusten und tränenüberströmtem Gesicht und die riesige Hand des Vaters, die ihn hinwegwischte. Das war alles so lange her. Er musste sich daran erinnern. Alles so lange her. Er war kein kleiner Junge mehr.
    «Herr Guillaume, haben Sie noch Fragen?»
    «Keine Fragen, Euer Ehren. Ich bitte Sie, ein Urteil zu fällen und meinen Mandanten freizusprechen.»
    Tibo legte den Füller vor sich auf den Schreibblock und kniff sich, bevor er sprach, mit müden Fingern in den Nasenrücken. «Herr Stoki, bitte erheben Sie sich.»
    Der kleine Mann stand auf und zupfte selbstsicher an seinen Manschetten.
    «Herr Stoki, es ist meine Pflicht, unter Berücksichtigung aller dem Gericht vorgelegten Beweise zu entscheiden, ob und in welchem Umfang jemand die Wahrheit sagt, und anschließend das Urteil zu fällen. Niemand sagt je die ganze Wahrheit, egal, was hier behauptet wird. Ich muss die Spreu vom Weizen trennen. Nachdem ich die Aussage Ihrer Frau aufmerksam verfolgt habe, bin ich zu der Einsicht

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