Die Liebeslotterie
hatten», sagte Guillaume. «Dieser kleine Scheißer schlägt seine Frau. Sie dürfen nicht glauben, ich würde, bloß, weil ich Anwalt bin, die Gerechtigkeit nicht lieben. Verwechseln Sie niemals Gerechtigkeit und Gesetz! Niemals das Gute mit dem Richtigen. Denken Sie niemals, das Richtige sei automatisch das Gute. Sie haben richtig gehandelt. Nein, halt! Da sehen Sie, wie schnell es gehen kann. Sie haben mich dazu gebracht. Sie haben gut gehandelt. Deswegen nennt man Sie den ‹guten› Tibo Krovic – wussten Sie das? Der ‹gute Tibo Krovic›, so wie ‹Alexander der Große› oder ‹Ivan der Schreckliche›. So einen Namen zu tragen versüßteinem doch sicher das ganze Leben. Es war gut, aber es war nicht richtig. Über das Gesetz macht man sich nicht lustig. Es ist unser einziges Schild. Deswegen werde ich Sie bei Richter Gustav anzeigen müssen. Ich muss das ‹Richtige› tun. Mir bleibt keine Wahl. Auf dem Richterstuhl stellen Sie eine Gefahr dar!»
«Ich verstehe», sagte Tibo. «Danke für das Omelett.»
Die Glocken der Kathedrale schlugen zwei. Nur noch ein Fall war an diesem Tag zu verhandeln. Der Gerichtsdiener rief: «Hektor Stopak!», und überreichte Tibo die Akte.
«Stopak?», wunderte sich Tibo. «Könnte damit der Stopak gemeint sein, Agathes Stopak? Sicher gibt es noch andere Stopaks.»
Hektor stand in der Anklagebank. Ein recht großer Mann, ein recht schneidiger Schnurrbart, dunkel, attraktiv auf eine schmierige, ungepflegte Art. Jung. Zu jung, um Agathes Stopak zu sein.
«Herr Stopak, aus der Anklageschrift geht hervor» – Tibo tippte mit dem Füller auf das vorliegende Dokument –, «dass man Sie des schweren Hausfriedensbruchs in der Taverne zu den Drei Kronen bezichtigt – viel Gefluche und Gebrüll, ein erheblicher Schaden am Mobiliar sowie ein Gast, der mit gebrochener Nase und zahlreichen anderen, weniger ernsten Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Das ärztliche Gutachten liegt vor. Sind Sie schuldig oder unschuldig?»
Yemko Guillaume schraubte sich von seinem Sitz mühsam in die Höhe wie ein Sperrballon, der an einem Seil aufsteigt. «Ich vertrete Herrn Stopak, Euer Ehren.»
«Wie will Ihr Mandant plädieren?»
«Schuldig, Euer Ehren.»
«Mildernde Umstände?»
«Wären Euer Ehren gewillt, sich die Details anzuhören?»
«Eigentlich nicht.»
«Dann lassen Sie mich nur sagen, dass Herr Stopak ein Künstler mit vielversprechender Zukunft ist – ein Maler. Als solcher pflegt er einen» – Yemko hielt inne, um eine Augenbraue hochzuziehen – «wenig bürgerlichen Umgang. Er selbst ist von eher artistischem Temperament, und seine Künstlerkollegen teilen diese feurige Veranlagung.»
«Mir war gar nicht bewusst, dass es sich bei den Drei Kronen um eine solche Brutstätte künstlerischen Treibens handelt», sagte Tibo. «Ist es eine anerkannte Schule?»
«Eher eine Art ‹Treffpunkt›, Euer Ehren», sagte Yemko. «Der Zwischenfall hat sich ungefähr so zugetragen, wie es in der Anklageschrift steht. Eine Diskussion unter brüderlich verbundenen Künstlern, die nach dem Genuss alkoholischer Getränke hitzig wurde …»
«Et cetera et cetera et cetera», unterbrach Tibo.
«Ich wusste gar nicht, dass Euer Ehren des Lateinischen mächtig sind. Ja, Herr Vorsitzender, in der Tat wurden ähnliche Geschichten vor diesem Gericht schon allzu oft vorgetragen. Ich bin jedoch froh, Euer Ehren darüber informieren zu können, dass mein Mandant heute Morgen eine feste Anstellung bei seinem Cousin gefunden hat.» Yemko drehte sich keuchend um und zeigte auf einen Mann mit aufgedunsenem Gesicht und traurigen Augen, der, in einen schweren, weißen Leinenoverall gezwängt, am hinteren Ende des Saales saß. «Der ältere Herr Stopak ist Unternehmer, ein Anstreicher und Dekorateur von untadeligem Charakter, dem Gericht unbekannt …»
Ah, nicht gänzlich unbekannt, dachte Tibo.
«… und bereit, meinem Mandanten eine Vollzeitstelle mit geregeltem Einkommen anzubieten.»
«Dann kann er eine Strafe zahlen?», fragte Tibo.
«Mein Mandant wäre nun in der Lage, dem Gericht eine Wiedergutmachung in dieser Form anzubieten, ja, Euer Ehren.»
«Sehr schön. Herr Stopak, bitte erheben Sie sich. In Anbetracht der Umstände sowie Ihrer nicht unerheblichen Vorstrafen verhängt das Gericht eine Geldbuße von einhundert. Der Besitzer der Drei Kronen gibt an, Sie hätten einen Schaden in der Höhe von einhundertundzwanzig verursacht, was wohl auf einen
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