Die Liebesluege
mein Vater!«
»Setz dich nur wieder, Elena.« Professor Mori lächelte sie
an. »Dein Vater hat verstanden, dass er die Bedingungen für deinen Aufenthalt in Villa Rosa erfüllen muss.«
»Ausgeschlossen. Sie kennen ihn nicht, Frau Professor Mori!«
»In Bezug auf Eltern habe ich schon viele Überraschungen erlebt.« Professor Mori reichte ihr die Konfektschale.
Ohne es zu wollen, griff Elena zu; der Keks zerbrach, die Stückchen fielen zu Boden. »Entschuldigung, das wollte ich nicht.«
Professor Mori wartete, bis sie die Krümel aufgelesen und auf den Teller gelegt hatte. »Wie auch immer … Elena, du musst die Tatsache akzeptieren: Dein Vater hat genügend Geld überwiesen, damit du die geforderte Ausstattung besorgen kannst. Das ist kein Geschenk; es ist, wie gesagt, Teil unserer Bedingungen.«
»Wer A sagt, muss auch B sagen?«, forschte Charly.
»Ja, das ist absolut richtig. Trotzdem fände ich es angebracht, wenn du ihm deinen Dank mitteilen würdest, Elena.«
»Ich will das Geld nicht!« Auf gar keinen Fall würde sie etwas von ihrem Vater annehmen, schwor sich Elena.
Entsetzt starrte Charly sie an. »Du hast sie ja wohl nicht alle! Natürlich nimmst du es an, das wäre ja noch mal schöner!«
Professor Mori schlug die Beine übereinander. »Das würde bedeuten, dass du Villa Rosa verlassen müsstest. Willst du das?«
»Nein!«
»Gut. Damit ist das Thema erledigt. Nun zu dem zweiten Punkt. Charly, er betrifft dich. Mademoiselle Cugat informierte mich, dass du, obwohl du aus Zermatt kommst, nicht Ski fährst und es auch nicht lernen möchtest. Stimmt das?«
Charly nickte.
Professor Mori lächelte. »Ich darf dich zitieren: Wer A sagt, muss auch B sagen. Du wirst Ski fahren, weil es Teil des Sportunterrichts ist.«
Charly strahlte sie an. »Wenn das so ist, werde ich es lernen. Klar. Ganz klar. In Ordnung. Wie ist es mit der Ausrüstung? Soll ich die auch am Mittwoch kaufen?«
Professor Mori schaute sie nachdenklich, fast zweifelnd an, so, als ob ihr Charlys rasche Zustimmung nicht ganz geheuer wäre. »Wenn überhaupt, wirst du nicht mehr viel in die Höhe schießen. Dennoch fänden wir es besser, wenn du, da die Skisaison fast vorüber ist, dir die Ausrüstung im hiesigen Sportgeschäft leihen würdest. Dann könntest du für den kommenden Winter das besorgen, was dir gefällt und für deine Fähigkeiten angemessen ist.«
»Klar, sonst kaufe ich aus Versehen Racing-Skier statt Anfängerlatten.«
»Du kennst dich also doch aus?«
»Das ist unvermeidlich, wenn man aus Zermatt kommt.«
Elena war der Unterhaltung nur mit einem halben Ohr gefolgt.
Ihr Vater hatte Geld lockergemacht … das ging nicht mit rechten Dingen zu, so geizig, wie er war, und so wütend auf sie. An der Sache war etwas faul. Bestimmt würde er ihr bei erster Gelegenheit vorrechnen, was sie ihn kostete … Sollte er doch! Sie würde sagen, er solle ihr das ganze Villa Rosa Geld später mal vom Erbe abziehen. Bei diesem Gedanken wurde Elena geradezu euphorisch zumute. Einen Dankesbrief? Nie im Leben! Sie würde ihm schreiben, er solle alle Ausgaben notieren, und sobald sie einen Beruf hatte, würde sie den Betrag abstottern.
Ihr war, als klärte sich etwas in ihrem Hirn, als hätte sich plötzlich die dichte schwarze Gedankenwand geteilt und
erlaube ihr einen ersten Blick in eine hellere Zukunft. Noch war die Aussicht verschwommen, aber eine ungefähre Ahnung, was möglich sein könnte, stieg in ihr auf.
»Frau Professor Mori!« Elenas Augen funkelten. »Ich weiß nicht, was Sie meinem Vater gesagt haben, aber eines ist sicher: Er wollte, dass ich in Ihr Internat gehe. Aber zu seinen Bedingungen und nicht, wie Sie es für angemessen halten. Er wird mir jeden Cent vorrechnen, glauben Sie mir! Das ist mir aber nicht mehr wichtig, ich …« Sie hielt inne, ließ den Blick vom Teetisch zum Samowar und dann zum Fenster schweifen. Gerade eben war ein heftiger Schneeschauer niedergeprasselt; jetzt zeigte sich schon wieder ein Stückchen blauer Himmel. »Ich danke Ihnen. Es ist eine Chance, und ich werde sie nützen.«
Professor Mori lächelte ihr freundlich zu. »Was wirst du tun?«
»Ich werde … ich …« Mein Gott, wie sollte man eine lange miese Geschichte in ein, zwei Sätzen zusammenfassen? Das ging doch nicht! Plötzlich erinnerte sie sich an Gordon und seinen Lieblingsdichter, Lord Byron.
»Professor Mori, Villa Rosa ist nicht der Kerker von Chillon. Für mich ist Villa Rosa …« Jetzt verließ Elena doch der
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