Die Liebesluege
Wahrscheinlich wäre ihnen die Verwandlung nicht recht.«
Charly erwiderte nichts darauf. »Weißt du was? Zuerst stellst du dich Professor Mori und Frau Rode vor, dann gehen wir in die Bar. Mittwochabend ist Barabend. Erinnerst du dich? Um zahlreiches Erscheinen wurde gebeten.«
Tatsächlich waren die Rosianer noch beim Abendessen, sodass sie die Treppe hochhuschen, die Einkäufe abstellen und danach ungesehen an Frau Rodes Tür klopfen konnten.
»Wir möchten uns nachträglich vom Essen abmelden«, begann Charly keck. »Vielen Dank für die guten Adressen.
Beim Friseur hat’s leider länger gedauert, aber finden Sie nicht auch, dass sich die Verspätung gelohnt hat?«
»Was für eine erfreuliche Veränderung!« Frau Rode bat sie ins Besucherzimmer. »Frau Professor Mori wird jeden Augenblick hier sein. Da kommt sie schon.«
Professor Mori lächelte. »Ihr habt gute Arbeit geleistet. Elena, du bist ja kaum wiederzuerkennen. Wie fühlst du dich nun?«
»Sehr gut. Am Samstag kann ich meine neuen Kontaktlinsen abholen. Dann sehe ich so aus -« Sie nahm die Brille ab.
Auf dem Weg zur Bar kamen sie am Schwarzen Brett vorbei; sie blieben stehen, denn ein roter Zettel sprang ihnen in die Augen.
Charly grinste. »Ich möchte nur wissen, wer die Raucher sind.« Sie zog Elena mit. »Die Kellerbar wird der richtige Ort sein, um das zu erfahren.«
Die befand sich im Untergeschoss. Über der Tür hing ein Schild: Tor ins Paradies - Zutritt für Nichtsünder verboten!
Die meisten mussten nach dem Abendessen direkt nach unten gegangen sein, denn der nur von Kerzen erleuchtete Raum war gerammelt voll.
»Let’s get it on, folks, shake your body!«, rief Poldy gerade und legte »The Seven Nation Army« von den White Stripes auf.
Gordon stellte Gläser mit Saft oder Bier auf den Tresen, hielt aber inne, als sich Charly und Elena den Weg zu ihm bahnten. »Aber hallo! Wer kommt denn da? Poldy, schau nur, Charly hat Wort gehalten; sie hat sich um ihre Freundin gekümmert. Wie heißt du noch schnell?«
»Elena.«
Plötzlich stand Max neben ihr. »Was hast du mit deiner Brille gemacht?«
Elena fischte sie aus ihrer Hosentasche.
»Setz sie auf«, befahl er und fasste sie an den Schultern. »Du hast die Wimpern getuscht. Was hast du mit den Haaren gemacht?«
Elenas Herz klopfte schnell und hart. »Ich war beim Friseur. Gefällt dir der neue Haarschnitt?«, fragte sie schüchtern.
»Willst du meine Meinung wissen?«
Elena hob die Schultern. »Die Meinung des Schulsprechers, ja.«
»Na ja. Wenn es sein muss? Die Jeans sind schick. Die Bluse ist der Hammer. Trotzdem … Schade, echt schade.«
Elena runzelte die Stirn. »Schade?«
»Schau mich nicht so böse an.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Was verstehst du nicht? Dass ich es schade finde, wie sehr du dich verwandelt hast?«
Elena nickte und wandte sich um. Wo war Charly?
Max hielt ihren Arm fest. »Moment mal, das muss geklärt werden. Zwei Sonnenuntergänge für mich, Gordy, aber ein bisschen plötzlich, ja?«
»Wieso die Hast?« Gordon stellte zwei Gläser auf den Tresen. Die Flüssigkeit im unteren Teil war gelb, dann folgte eine in Orange; irgendein Trick verhinderte, dass sich beide mischten. »Zwei Sonnenuntergänge. Gehen beide auf deine Rechnung?«
Max nickte und bedeutete Elena, ihm zu einer freien Stelle an der Bar zu folgen.
Beinahe wünschte Elena Charly mit ihrem flotten Mundwerk herbei - und doch wieder nicht. Sie nippte an ihrem Glas.
»Schmeckt’s?«
Elena zögerte. »Weiß ich noch nicht. Irgendwie ist es bitter und süß zugleich. Was ist das?«
»Unser Hausgetränk. Es ist süß, weil ein weiterer Tag in Villa Rosa vergangen ist -«
»Das verstehe ich«, unterbrach ihn Elena.
»Nein, das verstehst du nicht«, widersprach Max. »Für dich ist Villa Rosa noch eine Herausforderung. Wir alten Rosianer sehnen das Ende unseres Aufenthalts in der Warteschleife herbei.«
»Warteschleife?« Mein Gott, konnte er nicht etwas weniger kryptisch sein?
»Es ist doch so«, erklärte Max und ließ den Sonnenuntergang im Glas rotieren, »erst wenn wir unseren Abschluss gemacht haben, beginnt für uns das richtige Leben.«
Am liebsten hätte Elena mit Max über den Begriff »Warteschleife« diskutiert; vermutlich wären sie sich in die Haare geraten, denn sie sah die Zeit im Internat nicht als vertane Zeit. Für sie war es die Gelegenheit, Abstand von den Eltern und dem ganzen Schlamassel zu Hause zu bekommen. Für sie war Villa Rosa wirklich das
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