Die Liebesluege
auch am rechten Ski eine Schraube fehlte. »Du musst sie verloren haben«, stellte Herr Dorn fest. »Ich verstehe nicht, wie sich die Schrauben lösen konnten.«
»Ich hab die Skier bei Life and Sports geliehen«, erklärte Charly bereitwillig. »Natürlich musste die Bindung auf meine Schuhgröße eingestellt werden. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Schrauben nicht ordnungsgemäß angezogen wurden.«
Der Junge aus der Siebten meinte, mit einer losen Bindung zu fahren sei lebensgefährlich. »Schade«, meinte Charly bedauernd. »Heute kann ich die Bindungen nicht mehr bei Life and Sports befestigen lassen, und morgen ist das Geschäft geschlossen.«
Sie lehnte Bretter und Stöcke an die Wand, schützte ihr Gesicht mit einer guten Portion Sonnencreme und legte sich neben Swetlana in einen Liegestuhl.
Am Abend erhielt Elena die ersehnte SMS von Stefan mit der Nachricht, dass Stefan sich (trotz der zwei letzten geplatzten Dates) mit ihr am nächsten Tag treffen wollte. »Warum legt er das Date immer auf Sonntag, 15 Uhr?!«, wandte sie sich an Charly. »Ich MUSS zum Skifahren; Madame Cugat nimmt keine Entschuldigung an.«
»Schreib, du könnest ihn leider erst kommenden Sonntag treffen. Oder möchtest du, dass ich mich für dich auf die Bank setze?«, erbot sich Charly.
Natürlich wollte Elena nichts davon wissen; sie antwortete sofort auf Stefans SMS und verschob das Treffen um eine Woche.
Am Sonntagmorgen stand Charly wohlgemut auf, frühstückte mit den anderen, winkte Elena nach, holte sich ein spannendes Buch und richtete es am Nachmittag so ein, dass sie Punkt 15 Uhr auf der Bank beim Trachycarpus fortunei saß.
Die Promenade war sehr belebt; ältere, jüngere und ganz junge Paare schlenderten am Wasser entlang, kleine Kinder fuhren auf Fahrrädchen, mit Rollerblades oder spielten Fangen, und einmal sah sie einen Kleinen mit Tretroller, dem der grauhaarige Opa auf dem Skateboard folgte.
Die Sonne spiegelte sich im Genfer See, eine leichte Brise kräuselte das Wasser, und die Berge am jenseitigen Ufer sahen so erhaben und majestätisch aus, wie es die Werbeleute immer versprachen.
Weil sie nicht den Eindruck erwecken wollte, sie habe ein Date und der Junge habe sie versetzt, hatte sie ein großes Eis gekauft, Vanille, Pistazie und Erdbeere. Sie schaute die Promenade hinauf und hinunter, sie war eine aufmerksame Beobachterin, aber nie, nie sah sie Stefan.
Klar, Elena hatte die SMS geschickt. Aber so wie Charly diesen Mister Craig einschätzte, hätte es ihrer Meinung nach durchaus sein können, dass er sich mit einer anderen beim Trachycarpus fortunei traf. Oder auf einer anderen Bank in der Nähe eines exotischen Baumes.
Charly traute diesem tollen Typen nicht und hätte ihn nur zu gerne mit einer anderen am Arm gesehen, doch er ließ sich nicht blicken. Als das Eis alle und zwei kleine Jungs ihr den Ball ins Gesicht geschossen hatten, machte sie sich auf den Heimweg.
Unzufrieden war sie nicht, denn so ein langweiliger Ruhetag hatte sein Gutes. Man hatte Zeit, über manches nachzudenken.
Morgen musste sie die Skier zurückgeben und die fehlenden Schrauben erklären. Eine peinliche Sache; sie hoffte, dass der Azubi - er sei im ersten Lehrjahr, hatte er ihr gesagt - nicht dafür büßen musste, aber den Kopf würde es ihn ja wohl nicht kosten.
Dann fielen ihr Elenas Albträume ein. Die waren schlimm. Wenn noch eine Stefan-Enttäuschung dazukäme, wären ihre Nerven am Ende. Neulich wollte Elena ihr sagen, was sie geträumt hatte, aber sie hatte nichts hören wollen; jetzt ärgerte sie sich darüber.
Elena musste etwas wirklich Schlimmes erlebt haben. Aber jammerte das Mädchen? Beklagte sie ihr Schicksal? Spielte sie die Mimose, die Verletzte, die Wehleidige?
Elena war taff. In den wenigen Wochen in Villa Rosa hatte sie sich mehr Taschengeld, einen neuen Haarschnitt und flotte Kleider zugelegt (mit ihrer und Professor Moris Hilfe, aber trotzdem!), sie hatte zwei potenzielle Verehrer, den mysteriösen Stefan sowie den sehr netten Max, sie musste Ostern nicht nach Hause - und sie hatte eine Beschäftigung in der Ferienzeit. Das bewies doch, dass Elena nicht nur ziemlich standhaft war, sondern Chancen als solche erkannte und nutzte.
In der Mitte der steilen Staffel blieb Charly stehen, um zu verschnaufen. Unter ihr lag Schloss Chillon. Blöd, dass sie daran nicht gedacht hatte, heute hätte sie Zeit für eine Besichtigung gehabt.
Am Montag früh auf dem Weg zu Ski and Sports legte sich Charly
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