Die Liebesluege
einer langen Zeit räusperte sich Max. »Warum, denkst du, bin ich in Villa Rosa?«
Elena hob die Schultern. »Sag’s mir.«
Keine Wolke zog über den Himmel, kein noch so leiser Windhauch bewegte die Wipfel, kein Vogel zwitscherte.
»Meine Mutter hat meinen Vater verlassen. Sie … sie zog zu seinem Bruder, zu meinem Onkel.«
»Wie alt warst du damals?«
»Sieben, fast acht Jahre. Natürlich wollte sie mich behalten, aber das ließ mein Vater nicht zu. Er rächte sich.«
»Wie?«
Max riss einen Grashalm nach dem anderen aus. »Ganz einfach: Er kämpfte um das Sorgerecht, bekam es und machte sie schlecht, wo und wie es nur ging. Ich hatte Sehnsucht nach ihr, aber darauf nahm er keine Rücksicht. Das war’s. Zwei Jahre später wollte ich nur noch weg von ihm. Mit zehn kam ich hierher.«
»Hast du deine Mutter inzwischen mal -«
»Ganz selten.«
»Das ist hart.«
»Kann mal so sagen.« Max schluckte. »Mich freut, dass ihn seine Rache nicht zufriedenstellt. Und was man so hört, ist meine Mutter auch nicht besonders glücklich.«
»Die schäumende Wut wandelt sich in tiefste Verzweiflung«, wiederholte Elena und setzte leise hinzu: »Nein, Rache macht wirklich nicht glücklich.«
Max räusperte sich. »Das hört sich an, als wüsstest du Bescheid. Haben sich deine Eltern auch scheiden lassen?«
Elena schüttelte den Kopf. »Meine Mutter klammert«, brach es aus ihr heraus.
»Möchtest du -«
»Nein.«
»Okay. Verstehe. Bei mir hat’s auch gedauert, bis ich drüber weg war. Genau genommen hab ich erst heute darüber gesprochen. Komisch, was? Das muss an dir liegen«, versuchte er zu spotten.
Elena sah ihn an. Stefan war sehr weit weg. »Warum hast du die Sache mit deinen Eltern gerade mir erzählt?«
»Weil ich dir vertraue. Komisch, was?«
Elena schüttelte langsam den Kopf und flüsterte: »Du vertraust mir? Wie kommt das?« Max legte so behutsam, als fürchte er, weggestoßen zu werden, den Arm um ihre Schulter. »Ich dachte«, flüsterte er, »du seiest eine zickige Tussi. Aber das bist du nicht. Du bist nur schüchtern. Elena …«
»Ja?« Sie wagte kaum zu atmen. Ich bin ein hässlicher Trampel , hämmerte es in ihr. Niemand, schon gar nicht ein Junge wie Max, konnte Interesse an ihr haben. »Ja?«, wiederholte sie leise.
»Ich mag dich.«
Plötzlich und in geringer Entfernung schwebte eine Amsel aus einem Baum und ließ sich vor ihnen nieder. Ihr Schwanz wippte, als sie dahin und dorthin hüpfte. Sie zupfte einen Wurm aus dem Gras, schleuderte ihn mit raschen Bewegungen ihres Kopfes nach links und nach rechts, hielt ihn dann mit einem Bein fest, zerhackte ihn und verschlang nacheinander die kleinen Stücke. Dann verharrte sie einen Augenblick, flog auf einen nahen Baum und begann ihr Abendlied.
Max zog Elena an sich. Sie ließ zu, dass er wieder und immer wieder über ihr Haar strich, sie genoss seine Nähe, seine Wärme, seinen Geruch - und dass er schwieg.
Sie dachte an Stefan; was würde ein Mann in einer solchen Lage unternehmen? Wäre er zufrieden, sie nur im Arm zu halten? Elena schloss die Augen. Jetzt wollte sie nur den Moment genießen. Nachdenken konnte sie später.
Max ließ seine Hand zu ihrem Hals wandern.
»Hmmm«, machte sie und hob ihr Gesicht.
»Deine Wimpern«, flüsterte er.
»Hmmm?«
»Sie sind lang und gebogen. Und dicht. Schön sind sie. Ich liebe deine Wimpern, Elena …«
Längst war die Sonne untergegangen und die Amsel verstummt, als sie Hand in Hand zur Villa Rosa zurückgingen.
Max kannte eine Abkürzung, trotzdem dämmerte es bereits, als sie am Zaun standen, der den Park vom umliegenden Gelände trennte. Max öffnete ein Türchen, sie gingen durch das Gehölz und standen auf der Rückseite des Pavillons.
»Sollen wir reingehen?«, flüsterte er.
»Nein!« Elena schauderte. »Nicht jetzt! Aber ins Haus möchte ich auch noch nicht.«
Max lachte leise. Er zog sie ein Stück weiter, wo inmitten einiger Büsche eine verwitterte Bank stand. »Wie hat sich das Monster gerächt?«, fragte Elena und deutete mit dem Kopf auf den Pavillon.
»Du sollst jetzt nicht ans Monster denken«, flüsterte Max und zog Elena an sich. »Denk nur an uns.«
Später begleitete er Elena vors Tor. Dort hielt sie ihn am Ärmel fest. »Das Monster, Max. Sag mir, wie es sich rächte. Bitte!«
Er lächelte. »Du gibst wohl nie auf, was? Na gut. Also - wie rächte sich das Monster? Auf grausame Weise natürlich. Es tötete seinen besten Freund, und Frankenstein wollte nur
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