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Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sissi Flegel
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Andeutung in ihrer Rede. Sie wusste natürlich, was uns bevorstand, und wollte uns darauf vorbereiten. Aber wir haben nichts kapiert. Wir konnten es nicht. Es war unglaublich. Unfassbar. Eigentlich richtig zum Fürchten.«
    »Ich hab mich gefürchtet«, gestand Elena.
    Charly nickte. »Ich mich auch. In mir war nur Furcht. Und Angst, nackte Angst. Echt krass.«
    »Wenn man auch so aus dem Schlaf gerissen wird … Ohhh, koooommt!«
    Beide kicherten. »Es war echt gruselig. Das Monster - wie das groß und immer größer wurde! Und dann ist’s geschrumpft! Wie haben die das gemacht?«
    »Keine Ahnung. Ich frage mich, ob jeder Neuling auf dieselbe Weise getauft wird.«
    »Glaub ich nicht.« Charly warf ein Scheit ins Feuer.
    Sie schwiegen und hingen ihren Gedanken nach.
    Nach einer Weile hob Elena die Augen. »Wir sind nicht ausgeflippt.«
    »Ne.«
    »Wir wurden auch nicht hysterisch.«
    »Ich war nahe dran.«
    »Ich auch.«
    Elena wärmte die nackten Füße am Feuer. »Es war anständig,
dass sie uns die Schuhe angezogen und die Decken umgehängt haben. Die Nacht war affenkalt. Aber dass Max dichtgehalten hat!«
    »Er durfte nichts verraten.«
    »Klar.«
    Plötzlich kicherte Charly. »Mensch, Elena! Wir sind wie zwei Zombies zum Pavillon hochgestolpert!« Sie lachte. »Im Schlafanzug!«
    »Nur mit einer Decke drüber!«
    »Meine ist mir immer wieder von den Schultern gerutscht!«
    »Meine auch!«
    Sie lachten, lachten hemmungslos und laut, konnten gar nicht aufhören zu lachen. »Mit nackten Füßen in blöden Schuhen!«
    »Ungekämmt und ungewaschen!«
    »Und immer dieses ohhh, kooommt!«
    Wieder prusteten sie los. »Wer war eigentlich das Monster?!«
    »Keine Ahnung. Ist ja auch egal.«
    Als sie den ganzen Schreck aus sich herausgelacht hatten, wurden sie ruhiger. »Willst du ins Bett?«, fragte Elena.
    »Nach so einer Taufe?« Charly schüttelte den Kopf. »Jetzt bin ich hellwach, und die heiße Schokolade ist gut.«
    Elena knabberte einen Keks. Schon wieder ein Erlebnis, von dem sie ihren Eltern nicht berichten konnte. Die würden es als Blödsinn abtun, als dummen Schülerstreich, und sie auslachen: »Man kapiert doch sofort, was da läuft! Man ist doch nicht so blöd und steigert sich in eine kindische Angst hinein! Mein Gott, Elena, wie kannst du nur so unvernünftig sein! Wirst du denn niemals klug? Es gibt weiß Gott keine Monster!«

    Natürlich gab es keine Monster, aber wache mal jemand mitten in der Nacht auf und erlebe das, was sie erlebt hatte - die Person, die das kaltschnäuzig über sich ergehen lassen würde, musste erst noch geboren werden!
    Wieder hingen sie ihren Gedanken nach.
    »Charly?«
    »Hm?«
    »Ich möchte dir was sagen.«
    »Ja?«
    »Ich hab meiner Schwester eine SMS geschickt. Ich hab ihr geschrieben, sie solle mich besuchen.«
    »Gut so. Damit hast du den Anfang gemacht.«
    Die Bibliothek lag im Dunkeln, nur das Feuer warf einen roten Schein auf Charlys Gesicht. »Du hast meine Schwester gesehen. Kannst du dir vorstellen, wie stolz meine Eltern auf eine solche Tochter waren?«
    »Waren?« Charly hob den Kopf und wiederholte: »Waren?«
    Elena zog die Decke um sich. »Meine Schwester ist schön. Aber nicht nur das: In der Schule war sie bis zum Abitur Klassenbeste. Sie musste nie etwas lernen, ihr fiel alles zu. Sie bekam den Scheffelpreis in Deutsch und eine Auszeichnung in den naturwissenschaftlichen Fächern. Machte Abi mit 1,0 und konnte sich den Studienplatz auswählen. Jura.
    Meine Eltern schickten mich natürlich auf dasselbe Gymnasium. Es war das Schlimmste, das mir passieren konnte, denn alle Lehrer haben mich an meiner Schwester gemessen. Meine Aufsätze waren immer schlechter als ihre; schrieb ich in Mathe eine Eins, hieß es, meine Schwester hätte bestimmt einen eleganteren Lösungsweg gefunden. So war das. Und trotzdem, Charly - ich habe meine Schwester geliebt.«

    »Ich hätte sie gehasst!«
    »Ich habe sie bewundert und geliebt. Und gleichzeitig hab ich sie gehasst. Kannst du dir das vorstellen?«
    Charly hob die Schultern. »So was nennt man Hassliebe.«
    Elena nickte. »Es ist ein scheußliches Gefühl. Du hast dauernd ein schlechtes Gewissen.«
    Sie schwieg so lange, bis Charly leise fragte: »Dann bist du also wegen deiner Noten hierhergekommen?«
    Elena schrak zusammen. »O nein! Es war wegen meiner Lüge …«
    Charly wartete. Das Feuer brannte leise und gleichmäßig, die Flammen warfen zuckende Schatten, irgendwo knackte etwas, sie hoben die Köpfe,

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