Die Liebesluege
endlich reinen Wein einzuschenken.«
»Und? Hat er’s getan?«
»Nein. Er hielt Stefi hin, sagte, es sei der falsche Zeitpunkt, sie müsse Geduld haben - immer führte er Gründe an. Einmal war’s ein krankes Kind, dann wieder hielten ihn seine Geschäfte davon ab … Und dann kam Weihnachten. Er hatte versprochen, Weihnachten mit Stefi zu feiern. Am Tag vor Heiligabend rief er an, das gehe nicht, das würde seinen Kindern das Herz brechen. Na ja, er feierte Weihnachten mit seiner Familie. Am zweiten Feiertag rief Stefi ihn an und setzte ihm die Pistole auf die Brust: Entscheide dich endlich für mich. Wenn du Silvester nicht mit mir zusammen bist, bringe ich mich um - so ähnlich muss sie ihm die Hölle heiß gemacht haben. Und ich …« Wie früher biss sich Elena in den Zeigefingerknöchel. »Ich hielt das ganze verlogene Theater einfach nicht mehr aus. Mein Vater hat nämlich seit Jahren ein Verhältnis, wovon meine Mutter weiß. Aber Stefanie und mir gegenüber spielte er den absoluten Moralprediger und Biedermann. Natürlich hatten wir ihn längst durchschaut, aber er hatte so eine fiese Art, einen mundtot zu machen und immer recht zu behalten.
Irgendwann bekam er mit, dass Stefi viel zu oft und viel zu lang nicht zu Hause war, und den Alibis glaubte er auch nicht mehr.
Dabei hätte sich meine Schwester bestimmt nicht so an ihren Freund geklammert, wenn mein Vater die Sache lockerer genommen hätte. Früher oder später hätte sie eingesehen, dass der Freund ein Windei war. Einfach nur ein nettes, eitles, eingebildetes Windei. Keine Ahnung, ob er Stefi treu war; ich glaube, er hatte neben ihr und seiner Frau noch eine Geliebte. Stefi hat in seiner Brieftasche nämlich mal ein Foto von so einer richtig ordinären Schwarzhaarigen mit Riesenbusen gefunden. Über den kleinen Studenten jedenfalls hat er nur gelacht; eifersüchtig wurde er nicht.«
»Was war an Silvester?«, lenkte Charly aufs Thema zurück.
»Da passierte mir etwas, das ich noch heute nicht verstehe«, antwortete Elena leise. »Es hatte geregnet, gegen Abend fiel die Temperatur, die Straßen wurden spiegelglatt, und Stefis Freund hatte sich den ganzen Tag, den ganzen Silvestertag, nicht gemeldet. Keine SMS, kein Handyanruf. Nichts.
Stefi drehte durch. Sie setzte sich in ihren Golf, den sie zum Abi geschenkt bekommen hatte, und suchte ihren Freund. Frag mich nicht, wo sie ihn suchen wollte.
Um nicht wieder lügen zu müssen, ging ich zu meiner Schulfreundin. Das war so gegen sechs, sieben am Abend.
Ich stand gerade an einer Kreuzung, als mein Handy klingelte und Stefis Freund fragte, wo er sie treffen könne. Da passierte es.«
»Was denn?«
»Die Lüge«, flüsterte Elena.
»Die Lüge?«
Elena presste die Hände auf die Augen. »Die Ampel schaltete von Rot auf Grün, die Autos fuhren an, und ich
sagte, ohne zu wissen, warum ich das sagte: ›Stefi ist nicht in der Stadt. Sie fährt gerade zu einem Arzt, um das Baby abtreiben zu lassen.‹«
Charly schüttelte ungläubig den Kopf. »An Silvester?!«
»Ich hab das nicht überlegt«, flüsterte Elena. »Es war, als ob etwas aus mir heraus lügen würde, verstehst du?«
»Und dann?«
»Eigentlich war’s das. Stefi hatte einen kleinen Unfall. Nichts Schlimmes, sie rutschte nur über die vereiste Straße und die Böschung runter und musste abgeschleppt werden.
Zwei Tage später bekam sie Schmerzen und fing an zu bluten. Mir sagte sie es. Wir wussten, dass sie ins Krankenhaus musste, riefen ein Taxi, und ich begleitete meine Schwester.«
» Du hast sie begleitet?«, rief Charly. »Nicht eure Mutter?«
»Nein.«
»Das glaube ich nicht.«
»Es war so. Stefi hatte eine Fehlgeburt. Als sie aus dem Krankenhaus kam, packte sie ihre Koffer und zog zu einer Freundin. Sie machte auch mit ihrem Freund Schluss, denn nachdem ich ihn angelogen hatte, meldete er sich weder bei ihr noch bei mir - er tauchte ab. Komplett, vollständig, total. Das gab Stefi den Rest.«
»Wusste deine Schwester von deiner Lüge?«
Elena zog die Schultern hoch. »Als er sich nicht mehr meldete, hab ich’s ihr gesagt.«
»Und?«
»Sie hat … sie hat mir eine Ohrfeige gegeben und mir die Schuld an seinem Verhalten gegeben«, flüsterte Elena. »Und daran, dass sie das Baby verloren hat.«
»Und deine Eltern?«
»Sie sagten, es sei allein meine Schuld, dass Stefi zum zweiten Mal ausgezogen sei. Hätte ich ihr keine Alibis verschafft, hätten sie eingreifen können, Stefi wäre nicht schwanger geworden und uns
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