Die Liebesluege
allen sei der Schlamassel erspart geblieben. Jedenfalls«, Elena breitete die Hände aus, »bin ich schuld, dass die Familie auseinandergefallen ist. Stefi geht nicht mehr nach Hause, ich bin an ihrem verkorksten Leben schuld, bin schuld, dass ihr Liebhaber sie verlassen hat, bin schuld, dass meine Eltern ihre Vorzeigetochter verloren haben. Deshalb wurde ich ins Internat verbannt.«
»Was dein Glück ist«, entgegnete Charly trocken. »Aber warum Villa Rosa? Warum nicht ein Internat, das nicht so kostspielig ist und mehr in der Nähe von Heidelberg liegt?«
Elena verzog das Gesicht. »Ich bin ein hässlicher Trampel. Wusstest du das nicht? Mein Vater wünschte sich wohl, dass ich hier so richtig aus dem Rahmen fallen würde.«
»Unser Internat als Strafe ? Ich fass es nicht.« Charly griff nach der Kanne. »Leer. Schade.« Sie runzelte die Stirn. »Irgendwie kapiere ich deine Eltern nicht. Eigentlich ist doch deine Schwester an dem Ganzen schuld, oder?«
»Mit Stefi konnten sich meine Eltern schmücken, bis der Schurke auftauchte. Er krallte sich ihr Goldstück, ich vertuschte die Affäre mit den Alibis, also bin ich der Bösewicht. So einfach ist das.«
»Blödsinn!« Charly warf die Decke zurück. »Red nicht einen solchen Unsinn, Elena. Natürlich trifft dich eine Mitschuld, aber angezettelt hat das Ganze deine Schwester. Kapier doch: Sie hat dich benutzt! Wenn sie zu euren Eltern den Kontakt abgebrochen hat, ist das ihre Angelegenheit. Aber mit dir soll sie verdammt noch mal wieder ins Reine kommen.«
»Deshalb hab ich ihr ja heute die SMS geschickt«, antwortete Elena leise. »Ich muss wissen, wie es um unser Verhältnis steht.«
»Das hast du gut gemacht.«
»Ich gehe nämlich auch nicht mehr nach Hause. Ich will hier Abitur machen und dann studieren.«
»Was denn?«
»Weiß ich noch nicht. Ich hoffe, meine Eltern bezahlen erst mal Villa Rosa. Im Notfall«, Elena setzte sich auf und sah plötzlich sehr entschieden aus, »im Notfall bewerbe ich mich um einen Freiplatz.«
»Ne!«
»Doch. Unbedingt. Lieber büffle ich Tag und Nacht, als nach Heidelberg zurückzugehen. Aber um studieren zu können -«
»Seid ihr nicht müde?« Plötzlich stand Professor Mori in der Bibliothek: in einem hellgrauen Hausmantel aus feinem Kaschmir samt passenden Pantöffelchen, ungeschminkt und nicht ganz perfekt frisiert.
»Wir … wir haben Sie nicht gehört«, stammelte Elena erschrocken. Wann war Professor Mori hereingekommen? Hatte sie gelauscht und die Geschichte ihrer Lüge mitbekommen? Wohl nicht, denn sie zog ganz unbefangen einen Sessel vors Feuer.
»Das Monster hat euch also am Leben gelassen.« Sorgfältig schlug Professor Mori den Mantel über die Knie und griff nach einem Waffelröllchen.
»Wenn wir gewusst hätten, dass Sie zu uns kommen, hätten wir Ihnen von der heißen Schokolade etwas übrig gelassen«, sagte Charly höflich. »Sie schmeckte sehr gut, und uns war kalt.«
Professor Mori deutete auf die Urkunde. »›Aufgenommen
in die Gemeinschaft der Rosianer‹- meinen herzlichen Glückwunsch!«
Elena hüllte sich wieder in die Decke. »Wir haben überhaupt nichts begriffen; wir haben wie zwei Zombies getan, was die Gespenster von uns wollten, und standen plötzlich im Pavillon. Es war schrecklich!«
Charly nickte. »Werden alle Neuen vom Monster getauft?«
Professor Mori schmunzelte. »Jede Klasse denkt sich etwas anderes aus. Normalerweise taufen die Sechser die neuen Fünfer, aber bei euch war das natürlich anders. Die Zehner haben sich wochenlang überlegt, wie sie euch in die Gemeinschaft aufnehmen könnten. Ihre Pläne gingen vom Abspritzen mit kaltem Wasser bis zum Einsperren im Abstellraum unterm Dach. Dagegen erschien mir die Monster-Idee vergleichsweise harmlos.« Sie schob ein zweites Waffelröllchen in den Mund.
»Auf jeden Fall war sie gruselig!« Elena schauderte. »Ich hab mich schrecklich gefürchtet, weil alles irgendwie wirklich und unwirklich zugleich war.«
»Das Käuzchen! Das Stöhnen und die flackernden Kerzen! Und dann die Befehle: Knien! Aufstehen! Knien!« Charly schüttelte die langen rotblonden Locken nach hinten. »Ich möchte nur wissen, wer das Monster war. Aber Sie verraten es uns wahrscheinlich nicht, Frau Professor Mori. Oder?«
»Sicher nicht!«
Das Feuer war heruntergebrannt; jetzt stocherte sie die Glut auseinander. »In wenigen Wochen sind die drei Monate um, ihr bekommt den weinroten Pulli und gehört dann auch äußerlich zu den Rosianern.« Sie hob
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