Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
seufzte Alderan. »Ich befürchte, dass wir das Ende eines ganzen Zeitalters sehen werden, bevor wir hier fertig sind.«
»Falls das, was der Leahner gesehen hat, wahr ist.«
»Ich vertraue ihm, Masen, und bisher haben es die Ereignisse bestätigt. Savin wollte Gair von Anfang an haben. Zuerst hat er versucht, ihn zu sich zu locken, dann hat er uns einen Sturm geschickt. Und jetzt das hier.«
»Ist der Junge wirklich so mächtig?«
»Mehr als mächtig.«
Masen dachte nach. »Was ist mit Pensaeca? Vermutlich handelt es sich um eine Kriegslist, die uns aus der Reserve locken soll.«
»Während Savin versucht, durch Gairs Geist unsere Schilde zu durchbrechen. Also warten wir ab.«
»Das könnte einige Inselbewohner das Leben kosten«, sagte Masen, aber Alderan schüttelte den Kopf.
»Es wird weniger Verluste geben, als du glaubst. Die Nordmänner überfallen diese Inseln regelmäßig. Die Bewohner packen einfach alles zusammen und ziehen ins Landesinnere. Sie kennen die Berge und Täler wie ihre eigene Westentasche, und die Nordmänner haben schon vor langer Zeit gelernt, dass es sinnlos ist, sie zu verfolgen. Sie nehmen aus den Hafenorten mit, was sie tragen können, und segeln dann wieder nach Norden.«
»Werden sie sich genauso verhalten, wenn Savin unter ihnen ist? Wie weit wird er sie treiben, damit er eine Reaktion von uns bekommt?«
»Wie weit seine Geduld gehen wird? Du weißt genauso gut wie ich, dass Geduld nicht zu seinen Tugenden gehört, falls er überhaupt welche besitzt. Wir haben einen längeren Atem als er.«
»Willst du darauf ein Leben verwetten?«
»Du hast die Angewohnheit, harte Fragen zu stellen, alter Freund«, sagte Alderan, »und immer willst du harte Antworten hören.«
»So wie du die Angewohnheit hast, diese Antworten nicht zu geben.« Masen lachte freudlos. »Also gut, ich werde K’shaa mitteilen, er möge sich bereithalten. Es wird ihm nicht gefallen, mit der Morgenstern vor Anker zu liegen, während Piraten in seiner Nähe sind.«
»Du solltest gleichzeitig die Meister zusammenrufen. Wenn Savin uns direkt angreift, brauchen wir jeden Fetzen Talent auf der Insel, um den Schild aufrechtzuerhalten.«
»Und was ist, wenn Gair unrecht hat – oder Schlimmeres?«
Sie schauten beide hinüber zu der Stelle, wo Tanith über der ausgestreckten Gestalt des jungen Leahners kniete. Die Heilerin war eingehüllt in grüne Funken, und selbst aus der Entfernung zupfte ihr Sang an Alderans Gabe; ihre Macht war wirklich beträchtlich.
Er seufzte. »Wir werden mit dem Bären kämpfen, wenn er erwacht, und nicht vorher.« Er schaute hoch zum Himmel und runzelte die Stirn. Dünne, vom Wind gepeitschte Wolken verschleierten nun das Blau, und eine steifer werdende Brise trieb Gischt auf die Wellen in der Bucht von Pensaeca. »Anscheinend ändert sich das Wetter«, sagte er. »Ich glaube, uns steht ein Sturm bevor.«
Efeuranken krochen über die staubige Erde. Sie brachten frische Blättchen hervor, die rasch zu dunklen, lederigen Blättern wurden, die wie kranke Organe mit purpurfarbenen Adern durchzogen waren. Die Ranken bewegten sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Gair lief vor ihnen davon.
Er wurde langsamer, als er an eine Biegung kam, und spähte vorsichtig um die Ecke. Nichts. Der Lehmpfad lag leer zwischen grünen Mauern. Er warf einen Blick über die Schulter. Auch hinter ihm – nichts. Er war in Sicherheit, aber noch immer hatte er keinen Ausweg gefunden. Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß vom Gesicht und wünschte, er hätte Wasser. Seine Kehle war voller Staub.
Als etwas zart gegen sein Fußgelenk drückte, schaute er hinunter. Ein rotschwarzer Trieb, kaum dicker als sein kleiner Finger, hatte sich um den Stiefel gewunden. Winzige Blätter entrollten sich an ihm. Gair riss den Fuß beiseite, und der Trieb zuckte, fiel herab und kroch über die Erde auf Gairs anderen Fuß zu. Gair wich zurück und stieß gegen eine der Hecken. Dornen bohrten sich ihm durch das Hemd in die Haut, bis das Blut austrat. Er schrie auf und wirbelte herum. Weitere Efeutriebe hatten sich durch die Hecke gewunden, und alles, was sie berührten, verdorrte. Abgestorbene Blätter rieselten durch die Zweige; sie waren so stark ausgetrocknet, dass es den Anschein hatte, als seien sie schon vor Jahren eingegangen.
Gair wich weiter zurück. Der Trieb, der nach seinem Fuß gegriffen hatte, war nun bereits dicker als sein Daumen und kroch noch immer zielstrebig auf ihn zu, wobei er eine kleine Furche
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