Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
anderen sein?«
»Ich muss zuerst noch etwas anderes tun.« Darin zupfte mit der linken Hand an seinem Hemd herum. Die rechte hatte er zur Faust geballt. Rasch schaute er den Korridor entlang. Er schien etwas zu suchen.
Gair sah ihn eindringlich an. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte er. »Du bist sehr blass.«
»Ich habe bloß Angst.« Er lächelte kränklich. »Ich kann sie schreien hören. Sie alle schreien.«
»Hier ist sonst niemand.« Gair runzelte die Stirn. »Wer schreit, Darrin?«
Er hob die schmächtigen Schultern und ließ sie wieder fallen, als ob er nicht die Kraft hätte, sie oben zu halten. »Jeder«, sagte er, drehte sich um und ging davon.
»Darrin, warte!«, rief Gair hinter ihm her. »Darrin!«
Der Belisthaner ging auf das andere Ende des Korridors zu, weg von der Treppe. Als er um die nächste Ecke bog, überlegte Gair, ob er ihm nachlaufen sollte, und er machte sogar ein paar schnellere Schritte, aber als er dann um die Ecke schaute, war niemand mehr zu sehen. Darrin musste in einem der anderen Zimmer verschwunden sein. Gair rief noch einmal seinen Namen, aber er erhielt nur ein Echo zur Antwort.
Oben auf dem Dach waren zwei der Meister bereits ersetzt worden. Tanith kniete an der windabgewandten Mauer bei der Küche über einer Gestalt in blauer Robe, aber sie war so weit von Gair entfernt, dass er nicht erkennen konnte, um wen sie sich gerade kümmerte. Alderan stand noch immer oberhalb des Tores und wachte über den Schild. Gair stieg einige Stufen hoch und stellte sich neben ihn. Er war nicht mehr weit von den scharfen Zähnen und den ausdruckslosen schwarzen Augen entfernt.
»Sie sind unermüdlich, nicht wahr?«, meinte Alderan und betrachtete Gairs Schwert. »Möge die Göttin es verhindern, dass wir mit ihnen kämpfen müssen.«
»Taniths Schild schneidet mich von dem Sang ab. Mit meinem Schwert fühle ich mich wenigstens nicht mehr so nutzlos.«
Der alte Mann legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wenn du nicht gewesen wärest, hätten wir nicht gewusst, dass er kommt; du bist also alles andere als nutzlos. Du hast einen hohen Preis dafür bezahlt, dass wir ein paar Tage vorher gewarnt waren, und dafür bin ich dir sehr dankbar.«
Der Schild über ihnen blitzte erneut auf, und weitere kreischende Dämonen fielen herunter. Durch den bläulichen Dunst sah Gair, wie sich die Langschiffe Pencruik näherten. Feuerpfeile fuhren in die vor Anker liegenden Sandboote und Fischkutter, Rauchwolken wogten von Pensaeca herüber, und die Abenddämmerung setzte früher als üblich ein, als die Gewitterwolken schließlich die Sonne verdeckten. Dann hatten Savins Dämonen sich wieder vor dem Schild versammelt und nahmen ihm die Sicht.
»Was genau ist das für ein Talisman, den wir seiner Meinung nach haben, Alderan? Ihr hattet noch keine Gelegenheit, es mir zu sagen.«
»Die Nimrothi nennen diese Talismane die Sternensaat. Es handelt sich um Steine, die von den Clansprecherinnen hoch geachtet werden, weil sie es ihnen ermöglichen, noch tiefer in den Sang einzudringen, als es ihnen ohnehin möglich ist. Auf diese Weise haben sie den Schleier zerrissen, und auf diese Weise hat Corlainn ihn später wieder versiegelt.«
Gair runzelte die Stirn. »Corlainn der Häretiker?«
»Corlainn Fellbann hätte als Heiliger verehrt werden und nicht auf dem Scheiterhaufen enden sollen.«
»Er hat sich selbst verdammt, Alderan; nach seinen eigenen Angaben hat er die dunklen Künste dazu benutzt, Dämonen heraufzubeschwören. Wartet …« Gair musste sich selbst korrigieren, als sein Hirn die richtigen Verbindungen herstellte. »Auf die Weise wurde die Riannen-Schlucht gehalten, als Gwlach mit seiner Reserve anrückte, nicht wahr? So haben sie die Schlacht zu ihren Gunsten entschieden. Er hat die Sternensaat benutzt!«
Alderan neigte anerkennend den Kopf. »Und Corlainn hat dafür mit dem Leben bezahlt. So hat er den Ruf des Ordens geschützt. Er war ein Held, Gair, und man sollte Geschichten über ihn schreiben. Er war ein offenherziger, aufrechter Soldat, der keine Angst davor hatte, Schulter an Schulter mit seinen Männern zu stehen und für sie zu bluten. Er hätte nie dazu gezwungen werden dürfen, dieses Opfer zu bringen, aber er hat es getan, weil er an etwas Größeres als an sich selbst geglaubt hat.«
»Und die Kirche hat es ihm damit gedankt, dass er in den Geschichtsbüchern als Verräter und Abtrünniger erwähnt wird.« Der Schild knisterte, und es stank. »Eine weitere Sünde, für
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