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Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Titel: Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elspeth Cooper
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aufgeregt schnaubte, und wagte einen Blick über die Schulter. Die Gischt ließ das Geweih wie flüssiges Silber schimmern und überzog das Fell wie Perlen. Dieser Anblick war so schön, dass Masen das Herz wehtat, doch die Pracht der Geschöpfe aus dem Verborgenen Königreich war trügerisch. Er drehte sich wieder um und ging mit zusammengebissenen Zähnen weiter den Pfad entlang.
    Die Sogwirkung am Übergang der Reiche war jetzt noch stärker wahrzunehmen. Auch der Hirsch spürte etwas. Er zerrte an der Leine und wollte vorauspreschen; seine silbrigen Hufe klapperten über den Fels. Er schnaubte vor Eifer und roch den Duft seiner Heimat, der für Masen unter den Gerüchen des Wassers, der Kiefern und der kalten, nassen Felsen nicht wahrnehmbar war. Nun befanden sie sich schon fast oberhalb des Wasserfalls. Der Wind umwirbelte sie und erinnerte Masen daran, dass er gefährlich nahe am Abgrund stand. Er holte einen Hufnagel aus der Tasche und hielt ihn an einem Faden hoch. Sofort zeigte er mit der Spitze auf den Wasserfall. Masen hatte die richtige Stelle gefunden. Über dem Wasserfall befand sich ein Tor, das offen stand und ins Verborgene Königreich führte.
    Er steckte den Nagel wieder in die Tasche, wo er sofort gegen den Stoff seines Mantels drückte. Dann ließ er die Leine los, die den Hirsch noch immer fesselte, und löste auch seinen Sang.
    »Es ist Zeit, nach Hause zu gehen«, sagte er.
    Der Hirsch warf den Kopf zurück und röhrte. Sein Ruf war höher als der Bass eines Elchbullen und nicht so rau wie der des Damwilds, aber genauso unirdisch. Er stieß sich mit den Hinterläufen ab und sprang den steilen Hang hinunter zum Wasserfall. Irgendwie fand er Halt auf den eisbedeckten Steinen und hatte die Klamm bald hinter sich gelassen. Ihn umgab ein helles Strahlen, als sei die Sonne durch die Wolken gebrochen und spiegele sich in jedem Tropfen auf seinem Fell. Einen Augenblick später war das Tier nicht mehr zu sehen.
    »Möge die Göttin mit dir sein, mein Prinz«, murmelte Masen und schaute auf die Stelle, wo der Hirsch sich eben noch befunden hatte. Selbst nach so langer Zeit machte es ihn noch nervös, eine der Kreaturen des Königreiches spurlos durch ein Tor verschwinden zu sehen, zumal durch eines, das sich mitten in der Luft öffnete. Er sollte sich allmählich daran gewöhnt haben, aber dieser Anblick verursachte ihm noch immer eine Gänsehaut.
    Er ging über den Pfad hoch zum Kamm oberhalb der Schlucht und von dort aus den Hang hinunter. Seine gischtnassen Kleider klebten ihm unangenehm an den Gliedern, und als er das Lager erreicht hatte, war ihm durch und durch kalt. Die Versiegelung des Tores musste noch eine Weile warten. Selbst mit Seilen und Klettereisen wäre es kaum möglich, es allein zu erreichen. Viel leichter wäre es, den Torsturz zu zerstören, falls es ihm gelang, diesen zu finden, aber das würde einen hässlichen Riss im Schleier hinterlassen, der auf seine Weise genauso gefährlich war wie ein ungeschütztes Tor, und es würde doppelt so lange dauern, den Schaden zu beheben, wie das Tor auf die richtige Weise zu versiegeln.
    Erst einmal musste also alles so bleiben, wie es war. Masen hatte zunächst etwas viel Wichtigeres zu tun. Er schlitterte und stolperte zwischen den Bäumen hindurch. Der Orden musste gewarnt werden. Es war ein harter, zwanzigtägiger Ritt auf dem Grünweg zum Oberlauf des Großen Flusses, wo er ein Schiff zur Weiterreise nehmen konnte. Astolar lag näher, aber aufgrund des Aufruhrs war die Grenze möglicherweise schon geschlossen. Er konnte es sich nicht leisten, wochenlang in den astolanischen Bergen herumzuwandern und nach einem Weg zu suchen, falls sich der Weiße Hof dazu entschlossen haben sollte, sich zu isolieren. Die Reise war ohnehin schon lang und beschwerlich genug.
    Nein, er musste den Grünweg nehmen und sich dann nach Süden wenden. Er war sicher, dass er irgendein Schiff finden würde. Wenn es nötig war, würde er sich die Überfahrt als Schiffsjunge verdienen, es wäre nicht das erste Mal. Er würde alles tun, um nach Fleet zu kommen. Wenn der Schleier brüchig wurde, durfte er keine Zeit verlieren.

5
    Magie, anschwellend, vielstimmig, erfüllte die Luft um Gair herum, und die Zeit verlangsamte sich. Winzige Einzelheiten wurden schmerzhaft klar und deutlich. Ginsterblüten loderten hell wie Flammen an den grünen Büschen. Milliarden Staubpartikel sprenkelten die Luft. Hufe hoben und senkten sich wie durch Sirup, und jeder Hufschlag hallte in

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