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Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Titel: Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elspeth Cooper
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Landzunge und hockte sich neben seinen Gefangenen.
    »Ganz ruhig«, murmelte er. »Ich will dir nichts tun. Ich bin hier, um dich nach Hause zu bringen.« Er streichelte die Flanke des Tieres; das Netz prickelte auf seiner Hand, als er hindurchgriff. Er durfte die Hand nicht zu lange an derselben Stelle lassen, denn das Fleisch des Tieres war kalt wie der Schnee. Der Hirsch keuchte und lehnte sich gegen das Netz auf; die silbernen Hufe droschen auf den Kies ein.
    »Ruh dich aus, mein Prinz. Alles wird gut.«
    Die tintendunklen Augen schlossen sich. Das Tier legte den Kopf auf die Steine und atmete schnaubend durch die Nüstern.
    »Siehst du? Alles wird gut. Ich verspreche es dir.«
    Masen spürte das Herannahen des Jägers als Zittern in der Luft – ungefähr so, als würde jemand hinter ihm den Sang rufen. Er hörte nur den Fluss, keine Schritte auf den abgefallenen Blättern, aber die Welt hatte ihre Umrisse hinter ihm verändert, und er wusste, dass der Jäger da war.
    Masen errichtete zur Sicherheit einen Verteidigungsschild und sprang auf.
    Ich sehe dich, Mensch .
    Er drehte sich um. Ein Pfeil war auf sein Herz gerichtet; die Spitze glitzerte wie Eis. Der Jäger stand halb verborgen in den Schatten, die nicht dem Sonnenstand gemäß fielen und von gewaltigen Bäumen geworfen wurden, die nichts glichen, was in diesem Wald wuchs.
    »Herr.« Masen verneigte sich. »Ihr habt mich gefunden.«
    Du hast etwas, was mir gehört. Gib es mir zurück .
    »Ich werde es seinem Königreich zurückgeben, denn es gehört nicht hierher, aber Euch werde ich es nicht aushändigen. Ich werde das Gesetz nicht brechen.«
    Gib es mir! Der Jäger machte einen halben Schritt nach vorn in einen breiten Sonnenstrahl hinein. Grimmige grüne Augen schauten an dem Pfeil entlang, und eine Brise spielte in den geflochtenen Haaren des Jägers, die ihm bis auf die Schultern hingen. Masen wich seinem Blick nicht aus.
    »Ihr müsst das Gesetz der Jagd befolgen, Herr.«
    Gib mir den Hirsch, Mensch, oder ich werde dich erschießen .
    »Nein, Herr, das werde ich nicht tun. Euer Pfeil wird die Grenze Eures Reiches nicht überqueren.«
    Der Hirsch hat sie überquert .
    »Der Hirsch hat irgendwo ein Tor gefunden und ist hindurchgestolpert. Aber hier ist kein Tor.«
    Mit einem stummen Fluch senkte der Jäger seinen Bogen und lockerte die Sehne. Aber sein Blick war weiterhin furchteinflößend. Ich jage den Hirsch schon seit vielen Tagen. Ich hatte ihn beim Wasserfall gestellt, und er befand sich innerhalb meiner Reichweite .
    »Dann müsst Ihr ihn erneut jagen und stellen. Ich werde Euch Eure Beute nicht zum Geschenk machen.«
    Es würde dir die Gunst der Königin verschaffen .
    »Mich verlangt es nicht nach der Gunst Eurer Königin. Ich will nur, dass die Gesetze der Jagd befolgt werden. Ich unterliege ihnen genauso wie Ihr.«
    Der Hirsch zu Masens Füßen warf den Kopf herum. Das schimmernde, kaum sichtbare Netz des Sangs drückte in das winterdicke Fell. Das Tier wusste, dass der Tod nahe war, und jede Faser in ihm drängte zur Flucht.
    Der Jäger entspannte sich und schob den Pfeil zurück in den ledernen Köcher. Seine abgerissene, waldfarbene Kleidung verschmolz mit den Schatten um ihn herum. Also gut, Torwächter. Ich willige ein. Aber die Königin wird davon erfahren .
    »Dessen bin ich mir sicher«, sagte Masen. »Das hier ist ein königlicher Hirsch, eines ihrer eigenen Tiere. Größere Jäger als Ihr haben versucht, ihn zu fangen, und sind dabei gescheitert. Ihr befindet Euch in erlauchter Gesellschaft, Herr.«
    Der Jäger knurrte. Seine Hand wanderte zu seiner Hüfte, und ein Messer flog glitzernd auf Masens Brust zu. Es kam mitten in der Bewegung unter einem blauweißen Lichtblitz, der wie ein Funke vom Amboss der Göttin wirkte, zum Stillstand. Der Jäger bleckte die Zähne, wirbelte herum und verschwand in seinem Wald.
    Masen streckte die Hand nach dem Messer aus, das mitten in der Luft hing, und legte sie flach auf die unsichtbare Barriere. Die Spitze der Klinge berührte seine Handfläche. Sie war nicht scharf genug, um seine Haut zu ritzen, aber so fest wie eine Ahle, die durch ein Laken stach. Das Messer hätte eigentlich von der Barriere abprallen und dem Jäger vor die Füße fallen sollen, anstatt hier festzustecken. Das konnte nur eines bedeuten: Die Grenze wurde durchlässiger.
    Kälte breitete sich in Masens Magengrube aus. Seit vielen Jahren war der Schleier nicht mehr so schwach gewesen – seit den Tagen des Geistplünderers

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