Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
aufsetzte, klebte sogar der Boden an seinen Füßen.
Ein weiterer Alptraum von den Befragern. Gair zitterte. Was hatte sie gerade jetzt aus den Schatten heraufbeschworen? Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht und fuhr sich mit ihnen durch das verschwitzte Haar. Warum konnte er das alles nicht hinter sich lassen?
Wo ist dein Dämon? Wer ist dein Hausgeist? Sprich, Junge, und du wirst gerettet!
Bei allen Heiligen, wie heiß und stickig es in diesem Zimmer war! Er stellte sich auf die Beine und öffnete die Fensterflügel so weit wie möglich. Kühle, nach Meer duftende Nachtluft stahl sich hinein. Schon besser . Gair stützte sich auf den Fenstersims und zwang sich, tief Luft zu holen. Schon viel besser .
Das Wasser im Krug auf dem Nachttisch war lauwarm, aber besser als nichts. Er goss sich etwas davon in die hohle Hand und vertrieb damit den schalen Geschmack, dann spritzte er sich ein wenig auf Gesicht und Nacken. Rinnsale liefen nun an seinem Körper herab, aber sie verschafften ihm kaum Kühlung.
Es war nur ein Traum gewesen, doch der Schmerz hatte sich sehr wirklich angefühlt. Er berührte seinen Bauch dort, wo die Blutergüsse gewesen waren. Sie waren schon lange verschwunden; vom Schlüsselbein bis zu den Leisten war seine Haut unversehrt; nur die Muskeln darunter hoben sich ein wenig ab. Kein Schorf, kein getrocknetes Blut, keine offenen, roten Striemen. Sein Fleisch erinnerte sich deutlich an die Peitsche, aber nichts davon zeigte sich an der Oberfläche. Er war in Sicherheit.
Seit dem Überfall auf die Händlerrose hatte er das durch den Hexenjäger hervorgerufene Prickeln nicht mehr in seinem Geist gespürt. Vielleicht hatte der Mann seine Spur dort auf dem Fluss verloren, oder er hatte einfach aufgegeben. Möglicherweise hatte Gair mit dem Bogen mehr Glück gehabt, als ihm bewusst war. Aber wie dem auch sein mochte, er musste einfach glauben, dass er auf dieser Insel in Sicherheit war, denn sonst würden ihn die Erinnerungen an die Befrager nie in Ruhe lassen.
Draußen zwitscherte eine Amsel. Schwingen schwirrten; ein dunkler Umriss schoss über die silbrigen Felder und verschwand in einer Hecke. Die Morgendämmerung erhellte noch kaum den östlichen Horizont. Er sollte versuchen, noch etwas zu schlafen, falls das in diesem zerwühlten Bett überhaupt möglich war. Er schaute es an. Nein. Der Gedanke daran, wieder unter das feuchte Laken zu kriechen, verursachte ihm eine Gänsehaut.
In seinem Schrank befanden sich mehrere saubere Garnituren der neuen weißen Kleidung. Er zog eine lockere Segeltuchhose hervor. Der Adept, der sie ihm vor seiner Prüfung ausgehändigt hatte, hatte recht gehabt. Der Stoff war in den letzten beiden Wochen, in denen er die Hose zumeist morgens getragen hatte, weicher geworden. Er warf sich den Schwertgürtel über die Schulter und trat hinaus auf den Korridor.
Der Rest des Kapitelhauses schlief; selbst die Köche waren noch im Bett, auch wenn es nicht mehr lange dauern würde, bis die Herdfeuer entzündet waren und das Brot gebacken wurde. Aber bis dahin hatte Gair diesen Ort ganz für sich allein. Er stapfte durch die Gänge, bog bei den Umkleideräumen nach links ab und begab sich hinaus in den kleinsten Übungshof. Simiel verblasste allmählich am Morgenhimmel, aber für Gairs Zwecke herrschte noch mehr als genug Licht, das von den weißen Wänden zurückgeworfen wurde. Auf den Firstziegeln flatterte eine weitere Amsel mit den Flügeln und schoss mit einem leisen Ruf davon.
Gair hatte diese Angewohnheit kurz nach seiner Ankunft im Kapitelhaus entwickelt. Bis nach dem Frühstück war es immer sehr still auf den Übungshöfen, und so hatte er einige Stunden Zeit, sich von den Schrecken der Nacht zu befreien und einen klaren Kopf zu bekommen. Es beruhigte ihn, die Einzelübungen immer wieder durchzugehen; es half ihm, sich zu konzentrieren und seine Sorgen von einer leidenschaftslosen Position aus zu sehen. Es war, als würde er die Landschaft aus der Perspektive eines Adlers betrachten. Das war für ihn die einzige Möglichkeit, die Auseinandersetzung mit den Alpträumen zu beenden.
Nun zog er sein Schwert und lehnte die Scheide gegen das Geländer. Der Erdboden war taufeucht unter seinen nackten Füßen, aber er war nicht schlüpfrig. Eine Brise erweckte eine Gänsehaut auf seiner Brust. Das war egal; ihm würde schnell warm werden, sobald er mit den Kampfstellungen begonnen hatte. Wenn er fertig war, würde er den letzten Rest des Alptraums mit sauberem,
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