Die Lieferung - Roman
Magnus und Pernille waren schon vor einiger Zeit in die Mittagspause gegangen, und sie sah die Psychologin Susanne Marcussen auf einer Bank vor der Kantine sitzen und sich mit der neuen Krankenschwester unterhalten. Es war 11.55 Uhr, und abgesehen vom Lärm der spielenden Kinder lag eine schwere Siesta-ähnliche Trägheit über dem Dänischen Roten-Kreuz-Zentrum in Furesø, besser bekannt unter dem Namen Kulhuslager. Jedenfalls bis vor vier Minuten, als dieser Mann hereinmarschiert war. Sie schielte zum Telefon auf dem Schreibtisch, aber wen sollte sie anrufen? Die Polizei? Bis jetzt hatte er noch gegen kein Gesetz verstoßen.
Er mochte Ende vierzig sein, mit mittelblonden, zurückgekämmten Haaren. Sonnengebräunt und ordentlich gekleidet, ein kurzärmliges Boss-Hemd mit passender Krawatte. Am Empfang schien niemand auf die Idee gekommen zu sein, ihn aufzuhalten.
»Gehen Sie mir aus dem Weg«, sagte er zu ihr. »Dann suche ich sie selber.«
Nina blieb stehen. Wenn er mich schlägt, kann ich ihn anzeigen, dachte sie. Das wäre es wert.
»Unbefugte haben hier keinen Zutritt«, erklärte sie. »Ich muss Sie bitten zu gehen.«
Die Wirkung war noch geringer als bei ihrer ersten Aufforderung. Er schaute einfach durch sie hindurch in den Flur.
»Natasha«, rief er. »Komm. Rina sitzt im Auto und wartet.«
Was? Nina versuchte, seinen Blick einzufangen.
»Sie ist in der Schule«, platzte sie heraus.
Er blickte von oben auf sie herunter, und das Lächeln, zu dem sich sein Mund verzog, war so triumphierend, dass ihr schlecht wurde.
»Jetzt nicht mehr«, sagte er.
Dann war das leise Klicken einer Tür zu hören, die geöffnet wurde. Ohne sich umzudrehen, wusste Nina, dass Natasha auf den Flur gekommen war.
»Don’t hurt her«, bat sie.
»Aber Schatz, das würde mir doch niemals einfallen«, sagte der Boss-Mann. »Wollen wir nach Hause fahren? Ich habe Kuchen zum Kaffee gekauft.«
Natasha nickte kurz.
Nina streckte unwillkürlich den Arm aus, um sie zurückzuhalten, aber die schmächtige blonde Frau aus der Ukraine ging an ihr vorbei, ohne sie anzusehen. Nina wusste, dass sie 24 war, aber in diesem Augenblick sah sie aus wie ein schlaksiger, verlorener Teenager.
»I go now«, sagte sie.
»Natasha! Du kannst ihn anzeigen!«
Natasha schüttelte den Kopf. »For what?«, fragte sie.
Der Mann legte beide Hände um ihren schlanken Nacken, zog sie an sich und gab ihr einen provozierend innigen Kuss. Nina sah, wie sich der Körper des Mädchens versteifte. Er ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten und schob sie unter den strammen Bund ihrer Jeans, bis sie auf den Pobacken lagen. Die Hände zeichneten sich deutlich unter dem Stoff ab. Mit einem energischen Ruck drückte er ihren Unterleib fest gegen seinen.
Nina musste sauer aufstoßen. Am liebsten hätte sie diesem fiesen Schwein die blaue Vase auf den Hinterkopf geschmettert, aber sie tat es nicht. Stattdessen schwieg sie. Sie wusste, dass er diese Vorstellung nur ihretwegen gab, um ihr seine Überlegenheit zu demonstrieren. Je mehr sie reagierte, desto länger hätte sie ihn am Hals.
Nina erinnerte sich nur zu gut daran, wie glücklich Natasha ihr ihren Verlobungsring gezeigt hatte.
»I stay in Denmark now«, hatte sie mit strahlendem Lächeln gesagt. »My husband is Danish citizen.«
Vier Monate später war sie wieder im Zentrum aufgekreuzt, mit einer hastig gepackten Tasche und ihrer sechsjährigen Tochter Rina. Sie sah aus wie jemand, der es mit knapper Not aus einem Kriegsgebiet herausgeschafft hatte. Es gab kaum sichtbare Zeichen von Gewalt, nur ein paar blaue Flecken. Sie war nicht gekommen, weil er sie schlug. Aber Natasha hatte nicht sagen wollen, was genau er ihr getan hatte, sie hatte nur stumm dagesessen, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Magnus hatte sie schließlich überreden können, sich wegen ihrer entsetzlichen Unterleibsschmerzen untersuchen zu lassen.
Nina hatte ihn selten so wütend erlebt.
»So ein verdammter Scheißkerl«, fauchte er. »Der gehört mit dem Dreschflegel bearbeitet.«
»Was hat er gemacht?«, fragte Nina. »Was fehlt ihr denn?«
»Wenn er sich wenigstens damit begnügen würde, seinen jämmerlichen Schlappschwanz zu benutzen«, sagte Magnus. »Aber du solltest mal die Läsionen sehen, die sie in der Vagina und im Anus hat. So was ist mir noch nie untergekommen.«
Und dieser Scheißkerl stand nun hier und knetete Natashas Pobacken, während er über ihre Schulter tief in Ninas Augen blickte.
Weitere Kostenlose Bücher