Die Lieferung - Roman
Nina wendete den Blick ab und starrte auf die Rosen in der blauen Vase.
Ich könnte den Dreckskerl umbringen, dachte sie im Stillen. Ermorden, kastrieren, zerstückeln. Wenn das nur was bringen würde.
Aber es gab Tausende wie ihn. Natürlich nicht genau wie er, aber Tausende, die wie Geier über ihnen kreisten und darauf warteten, bis die Verzweiflung der Flüchtlinge groß genug war, dass sie sich einen Bissen von ihrem Fleisch holten.
Nach einer halben Ewigkeit zog er die Hände aus Natashas Hose.
»Einen schönen Tag noch«, sagte er und ging. Und Natasha folgte ihm wie eine Marionette.
Nina riss den Hörer vom Telefon und wählte eine interne Nummer.
»Lehrerzimmer, Ulla hier.«
»Stimmt es, dass der Scheißkerl, der Natasha heiraten will, Rina abgeholt hat?«, fragte Nina.
Am anderen Ende der Leitung war es still. »Ich muss mal nachsehen«, sagte die Dänischlehrerin schließlich. Nina wartete sechs Minuten, bis Ulla Svenningen zurückkam. »Tut mir leid«, sagte sie. »Er muss genau in der Mittagspause gekommen sein. Er hatte Eis dabei, sagen die Kinder, und Rina ist gleich zu ihm gelaufen.«
»Verdammt noch mal, Ulla!«
»Sorry, aber das ist schließlich kein Gefängnis hier. Offenheit ist es ein Teil unseres Konzepts.«
Nina legte auf, ohne zu antworten. Sie zitterte vor Wut. Im Moment hatte sie keinen Nerv für Entschuldigungen oder selbstgefällige Auslegungen über die Notwendigkeit, sich der Gesellschaft zu öffnen.
Im gleichen Augenblick kam Magnus zur Tür herein. Seine Brille saß schief, und das große, freundliche Hundegesicht war von Schweißperlen übersät.
»Natasha«, keuchte er. »Ich habe gesehen, wie sie in ein Auto gestiegen ist.«
»Ja«, sagte Nina. »Sie geht zurück zu ihrem Scheißkerl.«
»Verdammt, wie konnte das passieren!«
»Er hat vorher Rina abgeholt. Da ist Natasha einfach mitgegangen.«
Magnus ließ sich resigniert auf einen Bürostuhl fallen.
»Und anzeigen will sie ihn natürlich auch nicht.«
»Nein. Können wir das nicht machen?«
Magnus nahm die Sonnenbrille ab und putzte sie abwesend mit seinem Kittel.
»Er wird sagen, dass es niemanden was angeht, dass er und seine Verlobte Anhänger von Hardcore-Sex sind«, sagte er verstimmt. »Solange sie ihm nicht widerspricht … können wir gar nichts machen. Er schlägt sie nicht. Und wir können ihm auch keine Röntgenbilder von gebrochenen Knochen oder Rippen um die Ohren hauen.«
»Und dem Kind tut er auch nichts.« Nina seufzte.
Magnus schüttelte den Kopf.
»Nein. Sonst könnten wir ihn deswegen anzeigen.« Er warf einen verstohlenen Blick auf die Wanduhr. Es war fünf Minuten nach zwölf. »Willst du keine Mittagspause machen?«
»Mir ist der Appetit gründlich vergangen«, sagte Nina.
In dem Augenblick klingelte ihr privates Handy in der Kitteltasche.
»Ja?«
Die Anruferin stellte sich nicht vor, und im ersten Moment wusste Nina nicht, wer dort sprach.
»Du musst mir helfen.«
»Äh … wobei?«
»Du musst ihn holen. Du kennst dich mit so was aus.«
Es war Karin, jetzt erkannte Nina die Stimme. Sie hatten sich zuletzt bei einem ziemlich feuchtfröhlichen Studienfreundinnen-Brunch gesehen, der in lautem Streit geendet hatte.
»Karin, stimmt was nicht? Du klingst völlig daneben.«
»Ich sitze im Magasin-Café«, sagte Karin. »Mir ist nicht eingefallen, wo ich sonst hinkönnte … Kommst du?«
»Ich bin in der Arbeit.«
»Ich weiß. Kommst du?«
Nina zögerte. Die Luft verdichtete sich. Alte Schulden. Alte Freundschaften und offene Rechnungen.
»Okay, ich bin in 20 Minuten da.«
Magnus zog die Augenbrauen hoch.
»Ich mach dann doch eine Mittagspause«, erklärte Nina. »Und, ähm - das wird wohl mindestens eine Stunde dauern.«
Er nickte zerstreut. »Wir halten hier schon die Stellung.«
»Frau Ramoškienė!«
Grelles Licht stach Sigita in die Augen. Sie wollte den Kopf wegdrehen, was ihr aber nicht gelang, weil jemand ihr die Hände um ihren Kopf gelegt hatte und sie festhielt.
»Frau Ramoškienė, können Sie mich hören?«
Sie konnte nicht antworten. Noch nicht einmal die Augen konnte sie aus eigener Kraft richtig öffnen.
»Das hilft nichts«, sagte eine andere Stimme. »Die ist völlig weggetreten.«
»Pfui, was für ein Gestank.«
Ja, dachte Sigita benommen. Es stank. Nach Schnaps und Erbrochenem. Hier müsste dringend mal wieder saubergemacht werden.
»Frau Ramoškienė. Es wäre gut, wenn Sie selber mithelfen könnten.«
Wobei? Sie verstand überhaupt
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