Die Lilie im Tal (German Edition)
schreitet weiter, ohne daß man sie aufhalten könnte. Sehen Sie nur meinen strohgelben Teint, meine trockenen, glänzenden Augen, meine außerodentliche Magerkeit! Ich verdorre. Nun ja – von der Auswanderung habe ich den Keim dieser Krankheit mitgebracht; ich habe damals soviel gelitten. Meine Ehe, die das Übel wieder hätte gutmachen können, hat, statt meine kranke Seele zu heilen, die Wunde wieder zum Bluten gebracht. Was erwartete mich hier? Ewige Besorgnisse um die Kinder, häusliche Schwierigkeiten, zerrüttetes Vermögen, Sparsamkeit, die tausend Entbehrungen nötig machte, unter denen meine Frau und noch mehr ich selbst litt. Endlich noch ein Geheimnis, das ich nur Ihnen anvertrauen darf. – Mein herbstes Leid ist das: Blanche, ist zwar ein Engel, aber sie versteht mich nicht, sie weiß nichts von meinen Leiden und verschlimmert sie. Ich verzeihe ihr. Wissen Sie, es ist schrecklich zu sagen, aber eine weniger tugendhafte Frau hätte mich glücklicher gemacht, sie hätte sich zu allerhand Linderungen meines Zustandes hergegeben; und von so etwas hat Blanche keine Ahnung, sie ist naiv wie ein Kind. Dazu kommt, daß meine Leute mich plagen, sie sind alle Schafsköpfe, die Griechisch verstehen, wenn ich Französisch spreche. Als dann unser Vermögen sachte, sachte sich hob, als ich weniger Schwierigkeiten hatte, da war das Übel schon geschehen, ich kam schon in die Zeit der Appetitlosigkeit; – dann die große Krankheit, die Origet so verkehrt behandelt hat! Kurz, wie ich hier gehe und stehe, habe ich keine sechs Monate mehr zu leben...«
Ich hörte den Comte entsetzt an. Beim Wiedersehen war mir der trockene Glanz der Augen und die strohgelbe Farbe der Stirn der Comtesse aufgefallen. Ich zog den Comte nach Hause und hörte nur scheinbar auf seine von medizinischen Auseinandersetzungen durchzogenen Klagen; aber ich dachte nur an Henriette und wollte sie beobachten. Ich traf die Comtesse im Salon, wo sie der Mathematikstunde beiwohnte, die der Abbe de Dominis Jacques gab, während sie Madeleine einen Stickereistich erklärte. Früher hätte sie am Tage meiner Ankunft alle Beschäftigungen wohl aufzuschieben gewußt, um sich ganz mir zu widmen; aber meine Liebe war so tief und wahr, daß ich den Kummer über den Gegensatz zwischen einst und jetzt in meinem Herzen verschloß. Denn ich sah die verhängnisvolle Strohfarbe, die auf diesem himmlischen Antlitz dem göttlichen Schimmer glich, den italienische Maler um die Stirn der Heiligen gelegt haben. Ich fühlte meine Seele vom Eishauch des Todes berührt. Dann, als das Feuer ihrer Blicke, die nicht mehr wie früher feucht glänzten, auf mich fiel, erbebte ich. Da erst bemerkte ich einige Änderungen, die der Kummer verursacht hatte und die mir im Freien nicht aufgefallen waren: die feinen Linien, die bei meinem letzten Besuch erst eben auf der Stirn angedeutet waren, hatten sich tief eingegraben; ihre bläulich geäderten Schläfen schienen glühend und hohl, ihre Augen lagen tiefer unter der weicheren Wölbung der Brauen, und tiefe Schatten dunkelten darum. Sie war krank wie eine Frucht, auf der Fäulnisflecke sichtbar werden und die, den Wurm im Herzen, eine frühzeitige Scheinreife zeigt. Ich, dessen ganzer Ehrgeiz es war, Ströme von Glück in ihre Seele zu gießen, hatte ich nicht die Quelle getrübt, an der ihr Leben sich erfrischte, ihr Mut sich stählte? Ich setzte mich neben sie und sagte mit einer Stimme, die voll Reue war: »Sind Sie mit Ihrer Gesundheit zufrieden?« – »Ja«, antwortete sie, und tauchte ihren Blick in meinen, »meine Gesundheit – hier ist sie!« und sie wies auf Jacques und Madeleine.
Madeleine hatte in ihrem Kampf mit der Natur gesiegt und war mit fünfzehn Jahren eine reife Frau. Sie war gewachsen, Rosenfarbe blühte wieder auf ihren brünetten Wangen. Sie hatte die Sorglosigkeit des Kindes verloren, das allem gerade ins Gesicht sieht, und fing an, die Augen zu Senken; ihre Bewegungen wurden spärlich und gemessen wie die ihrer Mutter; ihre Taille war schlank, und die Anmut ihrer Büste begann sich zu entfalten; schon glättete Eitelkeit ihre wundervollen schwarzen Haare, die gescheitelt ihre Spanierinnenstirn umrahmten. Sie glich den hübschen Statuetten des Mittelalters, deren Umrisse so fein, deren Formen so zart sind, daß das Auge, das sie liebkost, für ihre Zerbrechlichkeit fürchtet. Aber die Gesundheit, diese Frucht so mühsamer Anstrengungen, legte den zarten Flaum des Pfirsichs auf ihre Wangen und längs ihres
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