Die Lilie im Tal (German Edition)
Nackens den seidigen Schimmer, worin, wie bei ihrer Mutter, das Licht spielte. Sie würde leben! Gott wollte es, du liebe Knospe der schönsten Menschenblüte – es stand geschrieben auf den längen Wimpern deiner Lider, auf der Rundung deiner Schultern, die versprachen, sich üppig zu entfalten wie die der Mutter. Dies brünette junge Mädchen mit der pappelschlanken Taille bildete einen seltsamen Gegensatz zu Jacques, dem schmächtigen Jungen von siebzehn Jahren, dessen stark entwickelter Kopf, dessen ausgeprägte Stirn erschreckten und dessen fieberische müde Augen seiner tiefen sonoren Stimme entsprachen. Die Stimme hatte zuviel Klang, wie der Blick zuviel Gedankentiefe verriet. Das war die Intelligenz, die Seele, das Herz Henriettes, deren rasche Flamme den widerstandsfähigen Körper verzehrte; denn Jacques hatte den milchweißen Teint und die glühende Röte junger Engländerinnen, die von der Krankheit gebrandmarkt sind und in absehbarer Zeit hingemäht werden sollen. Trügerische Gesundheit! Ich folgte der Bewegung, mit der Henriette, nachdem sie mir Madeleine gezeigt hatte, auf Jacques wies, der auf einer schwarzen Tafel vor dem Abbé de Dominis geometrische Figuren und algebraische Berechnungen ausführte. Ich erschrak beim Anblick dieses unter Blumen versteckten Todes und ehrte den Irrtum der armen Mutter.
»Wenn ich sie so sehe, bringt die Freude meine Schmerzen zum Schweigen, wie mein eigenes Leid verstummt und verschwindet, wenn ich sie krank weiß. Mein Freund«, sagte sie, und ihr Auge erglänzte vor mütterlicher Wonne, »wenn andere Neigungen uns enttäuschen, so wiegen die hier belohnten Gefühle, die erfüllten und erfolggekrönten Pflichten die Niederlage wohl auf, die wir anderwärts erleiden. Jacques wird wie Sie ein Mann von hoher Bildung, von großem Wissen sein; er wird wie Sie ein Ruhm seines Vaterlandes sein, wo er vielleicht eine leitende Stellung einnehmen wird dank Ihrer einflußreichen Hilfe. Aber ich will sehen, daß er seiner ersten Liebe treu bleibt. Madeleine, das liebe Geschöpfchen, hat jetzt schon ein goldenes Herz; sie ist rein wie der Schnee auf den höchsten Alpengipfeln; sie wird die Opferfähigkeit der Frau und deren anmutige Klugheit besitzen; sie ist stolz, sie wird eine würdige Lenoncourt sein! Die früher so geplagte Mutter ist nun glücklich, ungetrübten, unendlichen Glückes voll; ja, mein Leben ist ausgefüllt, ist reich. Sie sehen, Gott läßt meine Freuden aus der reinen erlaubten Liebe blühen und gibt den Genüssen einen bittern Beigeschmack, den Genüssen, zu denen ein gefährlicher Hang mich hinzog ...« – »Schön!« rief der Abbé erfreut aus, »Monsieur le Vicomte weiß soviel wie ich...«
Während er seinen Beweis zu Ende führte, fing Jacques an zu hüsteln.
»Genug für heute, mein lieber Abbé«, sagte die Comtesse bewegt, »und vor allem keine Chemiestunde! – Nun reiten Sie ein wenig spazieren!« fuhr sie fort und ließ sich von ihrem Sohne mit der würdigen und zugleich zärtlichen Wollust einer Mutter küssen; ihre Augen waren auf mich gerichtet, als wolle sie meine Erinnerungen kränken. »Gehen Sie, Liebling, seien Sie vorsichtig!« – »Aber», sagte ich, als sie Jacques lange nachsah, »Sie haben mir nicht geantwortet. Leiden Sie manchmal an irgendwelchen Schmerzen?« – »Ja, bisweilen habe ich Magenbeschwerden. Wenn ich in Paris wäre, würde mir die Ehre eines gastrischen Fiebers, der Modekrankheit, zuteil werden.« – »Meine Mutter leidet oft und viel«, ergänzte Madeleine. »Ach«, sagte sie, »Sie interessieren sich für meine Gesundheit?...«
Madeleine, erstaunt über die tiefe Ironie, die aus ihren Worten sprach, sah uns nacheinander an. Meine Augen zählten die rosa Blumen auf den Kissen der graugrünen Sessel.
»Diese Situation ist unerträglich!« flüsterte ich ihr ins Ohr. »Habe ich sie etwa geschaffen?« fragte sie. »Liebes Kind«, fügte sie laut hinzu, mit der erheuchelten Fröhlichkeit, hinter der Frauen ihre Rache verbergen, »kennen Sie denn keine moderne Geschichte? Sind Frankreich und England nicht immer Feinde gewesen? Madeleine weiß das, sie wird Ihnen sagen, daß ein großes Meer sie trennt, ein kaltes, stürmisches Meer.«
Die Vasen auf dem Kamin waren durch Kandelaber ersetzt, wahrscheinlich um mir die Freude zu machen, sie mit Blumen zu füllen. Ich fand sie später in ihrem Zimmer wieder. Als mein Diener kam, ging ich hinaus, um ihm meine Anweisungen zu geben. Er hatte einige Dinge mitgebracht,
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