Die Lilie im Tal (German Edition)
organisatorischen Talent ihren Einfluß für Sie geltend machen! Berufen Sie sich in allem auf uns; dann wird Ihnen weder Unterstützung noch Hilfe fehlen, gleichviel, welche Laufbahn Sie einschlagen! Legen Sie das Übermaß Ihrer Kräfte in einem edeln Ehrgeiz an!« – »Ich verstehe Sie«, unterbrach ich sie, »die Ehrsucht sollte meine Geliebte sein. Aber ich bedarf ihrer nicht, um ganz Ihr eigen zu sein. Nein, ich mag nicht, daß man mir meine Anhänglichkeit mit Gunstbezeigungen lohne. Ich werde gehen. Ich will mich allein in die Höhe arbeiten, durch eigene Kraft. Von Ihnen nähme ich alles, von andern will ich nichts!« – »Kindereien!« murrte sie, aber sie verhehlte nur schlecht ein Lächeln der Zufriedenheit. »Übrigens habe ich ein Gelübde abgelegt«, sagte ich; »ich habe über uns nachgedacht und mir vorgenommen, mich mit Banden an Sie zu knüpfen, die niemals gelöst werden können.«
Ein leises Zittern befiel sie. Sie stand still und sah mich an. »Was meinen Sie?« flüsterte sie und ließ die beiden Paare vorangehen, während sie die Kinder zurückbehielt.
»Sagen Sie mir zuerst offen, wie Sie von mir geliebt sein wollen!« – »Lieben Sie mich, wie meine Tante mich liebte, deren Rechte ich Ihnen eingeräumt habe, indem ich Ihnen erlaubte, mich bei dem Namen zu nennen, den sie für mich ausgesucht hatte.« – »So werde ich also ohne Hoffnung und mit völliger Hingebung lieben. Ja, ich werde für Sie tun, was der Mensch für Gott tut. Haben Sie es nicht gefordert?! Ich werde in ein Priesterseminar eintreten und nach der Priesterweihe Jacques' Erziehung leiten. Ihr Jacques wird mein anderes Ich sein; politische Ansichten, Gedanken, Willenskraft, Geduld, ich werde ihm alles geben. So werde ich bei Ihnen bleiben, ohne daß meine Liebe verdächtigt werden könnte, meine Liebe, die ganz in Heiligkeit gefaßt sein wird, wie ein silbernes Bild in Kristall. Sie brauchen nicht die zügellose Glut zu fürchten, die den Menschen ergreift und der ich schon einmal erlegen bin, ich will mich in meinem eigenen Feuer verzehren und Sie mit einer geläuterten Liebe lieben!« Sie erblaßte und sagte mit fliegendem Atem: »Felix, binden Sie sich nicht mit Fesseln, die eines Tages Ihrem Glücke hinderlich sein könnten! Ich müßte vor Kummer sterben, wenn ich an einem solchen Selbstmord schuld wäre. Kind, bedeutet denn Verzweiflung aus unglücklicher Liebe soviel wie ein Ruf von oben? Warten Sie die Erfahrungen des Lebens ab, ehe Sie sich ein Urteil über das Leben bilden! Ich will es! Ich befehle es! Vermählen Sie sich weder mit der Kirche noch mit einer Frau! Binden Sie sich in keiner Weise! Bleiben Sie frei! Sie sind einundzwanzig Jahre alt. Kaum wissen Sie, was die Zukunft für Sie in Bereitschaft hält. Ach Gott! sollte ich Sie falsch beurteilt haben? Und doch habe ich geglaubt, daß zwei Monate genügen, um gewisse Menschen kennenzulernen.« – »Welche Hoffnungen hegen Sie?« sagte ich, und ich fühlte, wie meine Augen blitzten. »Mein Freund, nehmen Sie meine Hilfe an! Arbeiten Sie sich in die Höhe, machen Sie Ihr Glück! Und Sie werden erfahren, was meine Hoffnung ist. Kurz«, sagte sie in einem Tone, als ließe sie ein Geheimnis durchblicken, »halten Sie stets Madeleines Hand fest, die Sie jetzt in der Ihren haben.« Sie neigte sich zu mir herüber, um mir diese Worte ins Ohr zu flüstern, die bewiesen, wie sehr sie an meine Zukunft dachte. »Madeleine«, rief ich aus, »niemals!«
Diese beiden Worte senkten ein erregtes Schweigen zwischen uns, wir waren die Beute einer Erschütterung, wie sie das Wesen zutiefst durchwühlt und ewige, unaustilgbare Spuren zurückläßt ... Wir standen vor einer Holztür, die in den Park von Frapesle führte: noch ist mir, als sähe ich ihre zwei verwitterten Pfeiler, die von Schlingpflanzen, Moosen, Gräsern und Brombeerranken überwuchert waren. Plötzlich durchschoß mich blitzschnell der Gedanke an den möglichen Tod des Comte. Ich sagte: »Ich verstehe Sie.« – »Das ist mir lieb«, antwortete sie in einem Tone, der mich erkennen ließ, daß ich ihr einen unwürdigen Gedanken zutraute.
Sie war so rein, daß ich hätte weinen mögen, aber die Leidenschaft verbitterte mich. Wenn ich an mich selbst dachte, mußte ich mir eingestehen, daß sie mich nicht genügend liebte, um sich ihre Freiheit zu wünschen. Solange die Liebe vor einem Verbrechen zurückschreckt, scheint sie Schranken zu haben, und die Liebe soll keine Grenzen kennen. Mein Herz krampfte sich
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