Die Lilie im Tal (German Edition)
Schwiegermutter ist eine vortreffliche Bekanntschaft für Sie; ich empfehle Ihnen, sie nicht zu vernachlässigen. Ihr Salon wird in Faubourg Saint-Germain tonangebend sein. Sie hat die Traditionen der großen Welt, besitzt ein ausgedehntes, Wissen, kennt alle Wappen von dem des ersten bis zu dem des letzten Edelmannes in Europa.«
Der gesellschaftliche Takt des Comte, vielleicht auch die Ratschläge seines guten Hausgeistes bewährten sich in der neuen Lage, die der Triumph seiner Partei geschaffen hatte. Er war weder anmaßend noch von beleidigender Herablassung, ohne Wichtigtuerei; und die Duchesse setzte keine ihrer Gönnermienen auf. Monsieur und Madame de Chessel nahmen dankbar die Einladung für den kommenden Donnerstag an. Ich gefiel der Duchesse, und ihre Blicke verrieten mir, daß sie mich auf das hin untersuchte, was ihre Tochter ihr von mir gesagt hatte. Auf dem Rückwege von der Kirche fragte sie nach meiner Familie und erkundigte sich, ob der junge Vandenesse, der bereits im diplomatischen Dienst stehe, ein Verwandter von mir sei. »Er ist mein Bruder«, sagte ich.
Da wurde sie beinahe herzlich. Sie teilte mir mit, daß meine Großtante, die alte Marquise de Listomère, eine geborene Grandlieu sei. Sie behandelte mich mit derselben Höflichkeit wie Monsieur de Mortsauf am Tage unserer ersten Begegnung. Ihr Blick verlor den hoheitsvollen Ausdruck, womit uns die Herren dieser Welt den Abstand zwischen ihnen und uns fühlen lassen. Ich war schlecht über meine Familie unterrichtet. Die Duchesse teilte mir mit, daß mein Großonkel, ein alter Abbé, dessen Namen ich nicht einmal kannte, Mitglied des ›Conseil privé‹ gewesen sei; mein Bruder war befördert worden; schließlich hatte ein Artikel der ›Charte‹, den ich noch nicht kannte, meinen Vater zum Marquis de Vandenesse ernannt.
»Ich bin nur eins, der Sklave von Clochegourde«, flüsterte ich ganz leise der Comtesse zu. Der Zauberschlag der Restauration vollzog sich mit einer Geschwindigkeit, die uns Kinder der Kaiserzeit überraschte. Diese Umwälzung bedeutete nichts für mich. Das kleinste Wort, die einfachste Bewegung Madame de Mortsaufs waren die einzigen Ereignisse, denen ich Wichtigkeit beimaß. Ich kümmerte mich nicht um den Conseil privé, ich wußte nichts von Politik noch von den Dingen dieser Welt. Mein einziger Ehrgeiz war, Henriette zu lieben, mehr als Petrarca Laura geliebt hatte. Diese Gleichgültigkeit ließ mich in den Augen der Duchesse als ein Kind erscheinen. Es kamen viele Leute nach Frapesle, wir waren dreißig Personen bei Tisch. Welche Trunkenheit für einen jungen Mann, die Frau, die er liebt, als die Schönste von allen zu sehen, wie sie das Ziel glühender Blicke wird, und zu wissen, daß man der einzige ist, dem sie den keuschen Glanz ihrer Blicke zuwendet. Man kennt jeden Ton ihrer Stimme und hört, in ihren scheinbar leicht hingeworfenen Scherzworten den Grundton ihres Denkens schwingen. Und doch wird das Herz von Eifersucht verzehrt, weil sie einem nicht allein gehört. In seinem Glück über die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, erschien der Comte fast jugendlich. Die Comtesse erhoffte vor alledem eine Veränderung seiner seelischen Verfassung. Ich lachte mit Madeleine, die wie viele Kinder, bei denen der Geist auf Kosten des Körpers sich entwickelt, mich durch überraschende Bemerkungen ergötzte; ihr harmlos spöttischer Sinn verschonte niemanden ... Es war ein schöner Tag. Ein Wort, eine Hoffnung, in der Frühe erblüht, hatte die ganze Natur verklärt; und da sie mich fröhlich sah, war Henriette auch fröhlich.
»Dies Glück, mitten in seinem grauen, überwölkten Leben, schien ihm recht wohltuend«, sagte sie mir am folgenden Tage.
Den nächsten Tag verbrachte ich natürlich in Clochegourde. Ich war fünf Tage von dort verbannt gewesen und dürstete nach meiner gewohnten Lebensweise. Der Comte war schon um sechs Uhr aufgebrochen, um in Tours seine Kaufverträge ausfertigen zu lassen. Zwischen der Mutter und der Tochter hatte sich eine schwerwiegende Meinungsverschiedenheit erhoben: die Duchesse wollte, daß die Comtesse ihr nach Paris folge, dort wollte sie ihr ein Hofamt verschaffen, und der Comte konnte seinen Verzicht widerrufen und eine hohe Stellung einnehmen. Henriette, die für eine glückliche Frau galt, wollte niemandem, auch nicht der Mutter, ihre furchtbaren Leiden enthüllen und die Unfähigkeit ihres Mannes verraten. Damit ihre Mutter nicht in die Geheimnisse ihres häuslichen Lebens
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