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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Herrin dieses Hauses für sich in Anspruch nehmen. Die Liebe verabscheut alles, was nicht sie selbst ist. Die Duchesse ging, den Pomp des Hofes zu genießen, und alles in Clochegourde kehrte in die alte Ordnung zurück.
    Mein kleiner Zwist mit dem Comte hatte zur Folge, daß ich noch mehr Boden gewann: ich konnte nun jederzeit kommen, ohne das geringste Mißtrauen zu erregen, und ich durfte wie eine Kletterpflanze die schöne Seele umranken, die mir die Zauberwelt erwiderter Liebe erschloß. Mit jeder Stunde, mit jedem Augenblick wurde unsere Seelenehe, die auf Vertrauen gegründet war, unlöslicher. Jeder von uns festigte seine Stellung: die Comtesse hüllte mich in ihren wärmenden Schutz, in die weißen Schleier wahrhaft mütterlicher Liebe, indes meine Liebe, die in ihrer Gegenwart seraphisch war, fern von ihr sich in etwas schmerzend Heißes, wie glühendes Eisen, verwandelte. Ich liebte sie mit einer doppelten Liebe, die bald mit den tausend Pfeilen der Begierde brannte, bald im unerreichbar fernen Äther verging. Wenn Sie mich fragen, warum ich trotz meiner Jugend und meiner ungestümen Wünsche beim trügerischen Glauben an eine platonische Liebe verharrte, so muß ich Ihnen gestehen, daß ich noch nicht Mann genug war, um diese Frau zu quälen, die in steter Furcht vor einer Katastrophe bei ihren Kindern lebte; die immerfort auf einen Ausbruch, einen stürmischen Stimmungswechsel bei ihrem Manne gefaßt war; die von ihm gepeinigt wurde, wenn nicht die Krankheit Jacques' und Madeleines sie quälte; die sich ans Bett eines ihrer Kinder setzte, sobald ihr Mann zu sich gekommen war und ihr etwas Zeit zur Ruhe ließ. Der Klang eines zu heftigen Wortes erschütterte ihr ganzes Wesen, jede Begierde beleidigte sie. Für sie mußte man ganz verschleierte Liebe sein, eine Mischung von Kraft und Zärtlichkeit, kurz alles, was sie selbst für andere war. Und endlich – muß ich es Ihnen erst sagen, die Sie so ganz Weib sind? – schloß diese Lage wonnige Ermattungen, Augenblicke himmlischer Milde und das Glück in sich, das stumme Opfer lohnt. Ihre Gewissenhaftigkeit wirkte ansteckend, ihr Opfermut, der auf keine irdische Belohnung rechnete, nötigte durch seine Beständigkeit Hochachtung ab. Dies lebendige und geheime Mitleid, das alle ihre Tugenden miteinander verband, wirkte wie ein seelischer Weihrauch. Zudem war ich jung, jung genug, mein ganzes Wesen in den Kuß zusammenzudrängen, den sie mir nur allzu selten auf ihre Hand zu drücken erlaubte: sie reichte mir stets nur den Handrücken, nie das Handinnere, als glaubte sie, daß dies die Grenze der sinnlichen Wollust sei. Vielleicht haben andere Seelen sich glühender umschlungen, aber nie wurde das Fleisch mutiger und siegreicher niedergekämpft. Viel später habe ich erkannt, weshalb dies Glück so ungetrübt war ... Damals wurde ich durch kein anderes Interesse abgelenkt, keine Leidenschaft durchkreuzte den Lauf dieses Gefühls, das stromgleich alles mit sich fortriß. Ja, später lieben wir das Weib in der Frau, aber bei der ersten geliebten Frau lieben wir alles, was ihr gehört: ihre Kinder sind unsere Kinder, ihr Haus ist unser Haus, ihre Interessen sind unsere Interessen, ihr Unglück ist unser größtes Unglück; wir lieben ihr Kleid und ihre Möbel; es ärgert uns mehr, ihr Getreide verhagelt zu sehen, als unser Geld verloren zu wissen; wir sind imstande, den Besucher zu schelten, der unsere Nippsachen auf dem Kaminsims verstellt. Diese heilige Liebe läßt uns in einem andern Menschen leben, aber später ziehen wir ein anderes Leben in uns hinein und verlangen von der Frau, daß sie mit ihren Zwischengefühlen unsere verarmten Empfindungen bereichere ... Bald gehörte ich zum Hause und empfand zum ersten Mal die unendlichen Wonnen, die für die gequälte Seele soviel sind wie ein Bad für den ermüdeten Körper; die Seele erfrischt sich dann über und über und fühlt sich bis in ihre tiefsten Falten geliebkost. Sie können das nicht verstehen, denn Sie sind ein Weib, und es handelt sich hier um ein Glück, das Sie geben, aber nie im selben Maße empfangen können. Ein Mann allein kennt das köstliche Vergnügen, in einem fremden Hauswesen der Liebling der Herrin, der geheime Mittelpunkt ihrer gütigen Gedanken zu sein: die Hunde bellen einen nicht mehr an, die Dienerschaft erkennt ebenso, wie die Hunde die geheimen Abzeichen, die man trägt, die Kinder, deren Empfinden noch unverdorben ist und die wissen, daß ihr Teil nie geschmälert werden kann

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