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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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angegriffen, ich kann nichts mehr verdauen.« – »Wie kommt es, daß Sie so genau Bescheid wissen?« fragte ich lächelnd. »Ist Ihr Arzt töricht genug, Ihnen so etwas zu sagen ?« – »Gott bewahre – werde ich denn einen Arzt um Rat fragen!« rief er mit dem tiefen Abscheu der meisten eingebildeten Kranken gegen die Medizin.
    Darauf mußte ich ein sinnloses Geschwätz über mich ergehen lassen: er sagte mir, im Vertrauen, lächerliche Dinge, beklagte sich über seine Frau, seine Leute, seine Kinder und das Leben und fand offenbar Vergnügen daran, seine Alltagsklagen einem Freunde aufzutischen, der sich vielleicht noch darüber wundern könnte und den die Höflichkeit zwang, Teilnahme zu heucheln. Er mußte wohl mit mir zufrieden sein, denn ich schenkte ihm die tiefste Aufmerksamkeit: ich versuchte dieses unerklärliche Wesen zu erforschen und die neuen Qualen zu erraten, womit er seine Frau peinigte, die sie mir aber verschwieg. Henriette, die auf der Freitreppe auftauchte, machte dieser Unterhaltung ein Ende. Der Comte erblickte sie, zuckte die Achseln und sagte: »Sie hören mir wenigstens zu, Felix, aber hier hat niemand Mitleid mit mir!«
    Er entfernte sich, als wüßte er, daß er unsere Unterhaltung nur stören könnte, oder aber, weil er ihr in einer Anwandlung von Ritterlichkeit die Freude machen wollte, uns allein zu lassen. Sein Wesen war voll seltsamer Widersprüche; im Grunde war er eifersüchtig wie alle Schwächlinge, aber dann wieder schien der Glaube an die Reinheit seiner Frau grenzenlos. Vielleicht erklärte sich sein ständiger Widerspruch gegen die Absichten der Comtesse aus seinem Selbstgefühl, das die Überlegenheit ihrer großen Tugend verletzte; er trotzte ihr, wie Kinder Lehrern oder Müttern trotzen. Jacques wurde gerade unterrichtet, Madeleine machte Toilette, und so konnte ich etwa eine Stunde lang mit der Comtesse auf der Terrasse allein sein.
    »Aber lieber Engel«, sagte ich, »die Kette ist ja noch drückender geworden, der Sand noch brennender, die Dornen zahlreicher; ist es nicht so?« – »Schweigen Sie!« antwortete sie, denn sie erriet die Gedanken, worauf die Unterhaltung mit dem Comte mich gebracht hätte. »Sie sind hier, alles ist vergessen. Ich leide nicht, ich habe nie gelitten!«
    Sie machte einige rasche Schritte, wie um ihr weißes Gewand zu lüften, sie überließ dem sanften Wind die schneeigen Tüllrüschen, die wehenden Ärmel, ihre frischen Bänder, die Pelerine und die wellenweichen Locken ihrer Haartracht à la Sévigné. Und ich sah sie zum ersten Mal einem jungen Mädchen gleich, ungezwungen heiter und spiellustig wie ein Kind. Da lernte ich die Tränen des Glücks kennen und die Freude, die der Mann genießt, wenn er Freude spendet.
    »Schöne Menschenblüte, die mein Gedanke liebkost und meine Seele küßt, o meine Lilie!« rief ich aus, »immer unberührt und aufrecht auf ihrem Stengel, immer weiß, stolz, duftend und einsam.« – »Genug«, sagte sie lächelnd; »sprechen Sie von Ihren Taten, aber erzählen Sie mir alles!«
    Da führten wir denn unter dem wehenden, zitternden Blätterdach eine lange Unterhaltung mit vielen Abschweifungen, die wir fallenließen und wieder aufnahmen, und ich weihte sie ein in mein Leben, meine Tätigkeit. Ich beschrieb ihr mein Zimmer in Paris; denn sie wollte alles wissen, und – o nie genug geschätztes Glück! – ich hatte ihr nichts zu verschweigen. Als sie so vertraut wurde mit meinen Gedanken, meinen Träumen, mit allen Einzelheiten meines arbeitsschweren Lebens, als sie von meinem ausgedehnten Amtsbereiche hörte, wo es ohne strenge Ehrlichkeit ein leichtes gewesen wäre, zu betrügen und sich zu bereichern, wo ich aber soviel Gewissenhaftigkeit an den Tag legte, daß der König – so erzählte ich ihr – mich ›Mademoiselle de Vandenesse‹ nannte, da ergriff sie meine Hand, küßte sie und benetzte sie mit Tränen der Freude. Diese plötzliche Vertauschung der Rollen, dies herrliche Lob, dieser kaum angedeutete, doch sogleich verstandene Gedanke: ›Das ist der Herr, den ich mir gewünscht hätte, das ist mein Traum! ...‹ – das Geständnis, das darin lag, wo Selbsterniedrigung Größe bedeutete und sich Liebe in einer übersinnlichen Welt verriet – dieser ganze Sturm himmlischer Offenbarungen warf sich mir aufs Herz und zermalmte mich. Ich fühlte mich klein, ich hätte zu ihren Füßen sterben können.
    »Ach«, rief ich aus, »Sie werden uns immer in allem überlegen sein! Wie können Sie an mir

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