Die Lilie im Tal (German Edition)
unbeschreibbaren Einzelheiten, sondern im Gesamtbild, will ich Ihnen sagen, daß wir einander in allen Wesen, in allen Dingen um uns liebten. Wir fanden das Glück, das jeder von uns wünschte, außer uns; es durchdrang uns so mächtig, daß die Comtesse ihre Handschuhe auszog und ihre schönen Hände ins Wasser tauchte, wie um eine heimliche Glut zu kühlen. Ihre Augen sprachen, aber ihr Mund, der sich wie eine Rosenknospe der Luft erschloß, hätte sich der Begierde geschlossen. Sie kennen die Harmonie tiefer und hoher Töne, die ganz aufeinander abgestimmt sind: sie erinnert mich stets an die Harmonie unserer beiden Seelen in diesem Augenblick, der niemals wiederkehren wird.
»Wo lassen Sie fischen«, fragte ich, »wenn Ihnen der Fischfang doch nur an Ihren eigenen Ufern erlaubt ist?« – »Nahe bei Pont-de-Ruan. Ich vergaß Ihnen zu sagen: der Fluß gehört uns jetzt von Pont-de-Ruan bis Clochegourde. Monsieur de Mortsauf hat vor kurzem vierzig Morgen Wiese gekauft von den Ersparnissen der beiden letzten Jahre und seiner rückständigen Pension. Wundert Sie das?« – »Mich? Ich wollte, das ganze Tal gehörte Ihnen!« rief ich aus. Sie antwortete mit einem Lächeln. Wir waren jetzt unterhalb von Pont-de-Ruan, in einer Ausbuchtung der Indre. Es wurde schon gefischt.
»Nun, wie steht's, Martineau?« fragte sie. »Ach, Madame la Comtesse, wir haben Pech. Seit drei Stunden sind wir an der Arbeit, flußaufwärts von der Mühle bis hierher, und haben nichts gefangen.«
Wir legten an, um dem letzten Auswerfen der Netze beizuwohnen, und stellten uns alle drei in den Schatten einer weißrindigen Pappel, wie sie an der Donau, der Loire und wahrscheinlich an allen großen Flüssen wächst und die im Frühling weiße seidige Flocken abwirft. Die Comtesse hatte ihre hoheitsvolle Heiterkeit wiedergefunden. Sie bereute es fast, mir ihre Leiden anvertraut und wie Hiob geschrien zu haben, statt wie Magdalena zu weinen, wie eine Magdalena ohne Lüge, ohne Feste, ohne Ausschweifungen, aber nicht ohne Duft und Schönheit. Das Netz, das man vor ihr herauszog, war voller Fische: Schleien, Barben, Hechte, Barsche und ein riesiger Karpfen zuckten auf dem Grase.
»Das ist ein abgekartetes Spiel!« rief der Verwalter.
Die Arbeiter rissen die Augen auf und bewunderten diese Frau, als sei sie eine Fee, deren Zauberstab ihre Netze berührt habe. In diesem Augenblick kam der Vorreiter durch die Wiese hergaloppiert. Sie fuhr entsetzt zusammen. Wir hatten Jacques nicht bei uns, und der erste Gedanke einer Mutter ist, wie Vergil so poetisch gesagt hat, ihre Kinder bei der geringsten Gefahr an die Brust zu drücken.
»Jacques!« rief sie, »wo ist Jacques? Was ist meinem Sohn geschehen?«
Sie liebte mich nicht! Hätte sie mich geliebt, so hätte sie für meine Leiden diesen Ausdruck einer verzweifelten Löwin gehabt.
»Madame la Comtesse! Dem Comte geht es schlechter!«
Sie atmete auf und lief, von Madeleine gefolgt, auf mich zu. »Gehen Sie langsam nach Hause«, sagte sie mir, »damit dieses liebe Mädchen sich nicht erhitze. Sie sehen, Monsieur de Mortsaufs Marsch durch die Hitze hat ihn in Schweiß gebadet, und sein Aufenthalt unter dem Nußbaum hat vielleicht ein Unglück verschuldet.«
Dies Wort, das sich aus ihrer erregten Seele rang, zeigte, wie rein ihre Gedanken waren. Der Tod des Comte – ein Unglück?! Sie eilte nach Clochegourde zurück, ging durch eine Mauerbresche und durchschritt den Weinberg. Ich kehrte in der Tat langsam zurück. Henriettes Ausruf hatte mich erleuchtet, aber wie der Blitz, der die Ernte vernichtet. Während dieser Bootsfahrt glaubte ich ihrem Herzen am nächsten zu sein; jetzt fühlte ich voller Bitterkeit, daß ihre Worte aufrichtig waren. Der Geliebte, der nicht alles ist, ist nichts! So liebte denn ich allein – mit allen Begierden einer Liebe, die weiß, was sie will, die sich im voraus an erhofften Liebkosungen weidet und sich mit seelischer Wollust begnügt, weil sie von der Zukunft alle Wonnen erwartet. Wenn Henriette liebte, wußte sie nichts von den Freuden noch von den Stürmen der Leidenschaft. Sie zehrte vom Gefühle selbst, wie eine gottergebene Heilige. Ich war der Gegenstand, an den sich ihre Gedanken, ihr mißverstandenes Empfinden geheftet hatte wie ein Bienenschwarm an einen blühenden Baumzweig. Aber ich war nicht das Schicksal, ich war nur ein Zufall in ihrem Leben. ›Wer würde mir entthrontem König mein Reich wiedergeben?‹ fragte ich mich. In meiner wilden Eifersucht warf
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