Die Lilie im Tal (German Edition)
ich mir vor, nichts gewagt zu haben, die Bande einer Liebe, die nunmehr eher überzart als lebensfähig erschien, nicht fester geknüpft zu haben durch die Rechte, die der Besitz verleiht.
Das Unwohlsein des Comte, das vielleicht durch die Kühle unter dem Nußbaum hervorgerufen war, verschlimmerte sich in wenigen Stunden. Ich ging nach Tours, um einen Arzt, Monsieur Origet, zu holen, der mich aber erst am Abend nach Clochegourde begleiten konnte. Er blieb die ganze Nacht und den folgenden Tag dort. Er hatte durch den Vorreiter eine große Zahl Blutegel besorgen lassen, weil er einen Aderlaß für durchaus nötig hielt, aber seine Lanzette war zu Hause liegengeblieben. Sofort rannte ich nach Azay, bei abscheulichem Wetter, weckte den Wundarzt und zwang ihn, mir mit der Geschwindigkeit eines Vogels zu folgen. Zehn Minuten später wäre der Comte erlegen; der Aderlaß rettete ihn. Trotz dieses ersten Erfolges stellte der Arzt die Prognose auf eine bösartige Entzündung, eine Krankheit, wie sie nur Leute bekommen, die zwanzig Jahre gesund waren. Die Comtesse war niedergeschmettert und glaubte, an dieser verhängnisvollen Krise schuld zu sein. Sie hatte nicht die Kraft, mir für meine Bemühungen zu danken, warf mir aber hin und wieder ein Lächeln zu, das dasselbe besagen wollte wie der Kuß, den sie mir auf die Hand gedrückt; ich hätte gern Gewissensbisse einer unerlaubten Liebe darin gelesen, aber sie zeugten nur von einer reuigen Zerknirschung, die eine so reine Seele nicht hätte trüben sollen. Es war der Ausdruck einer bewundernden Zärtlichkeit für den, der ihr edel erschien, während sie allein sich eines eingebildeten Verbrechens zieh. Gewiß, sie liebte mich, wie Laura de Nover Petrarca liebte, und nicht, wie Francesca da Rimini Paolo begehrte: eine furchtbare Entdeckung für einen, der die Vereinigung dieser beiden Arten von Liebe ersehnte. Die Comtesse lag schlaff und mit hängenden Armen in einem schmutzigen Sessel, in diesem Zimmer, das dem Unterschlupf eines Wildschweins glich. Am folgenden Abend riet der Arzt der Comtesse, die die Nacht durchgewacht hatte, eine Krankenpflegerin zu nehmen; die Krankheit würde langwierig sein.
»Eine Pflegerin – nein! nein! Wir werden ihn pflegen!« rief sie, indem sie sich mir zuwandte. »Wir sind es ihm schuldig, ihn zu retten!«
Bei diesem Ausruf warf der Arzt uns einen durchdringenden, höchst erstaunten Blick zu. Die Worte waren allerdings geeignet, ihn auf einen verfehlten Anschlag schließen zu lassen; er versprach zweimal wöchentlich zu kommen, gab Monsieur Deslandes genaue Weisung und bezeichnete uns die drohenden Symptome, die es vielleicht erforderlich machten, ihn sofort zu holen.
Um der Comtesse wenigstens alle zwei Nächte etwas Ruhe zu verschaffen, bat ich sie, abwechselnd mit ihr wachen zu dürfen. So veranlaßte ich sie nicht ohne Mühe, in der dritten Nacht sich zur Ruhe zu begeben. Als alles im Hause ruhte und der Comte einen Augenblick einschlummerte, vernahm ich in Henriettes Zimmer schmerzliches Stöhnen; meine Besorgnis war so stark, daß ich sie aufsuchte. Ich fand sie auf ihrem Betstuhl kniend, in Tränen gebadet. Sie klagte sich an. »Mein Gott! Wenn das die Strafe für mein Murren ist, so werde ich mich nie mehr beklagen ... Sie haben ihn allein gelassen?« rief sie aus, als sie mich erblickte. »Ich hörte Sie weinen und ächzen, war besorgt um Sie!« – »Oh, mir – mir geht's gut!« sagte sie.
Sie wollte sich davon überzeugen, ob Monsieur de Mortsauf schlief. Wir gingen zusammen hinunter und betrachteten ihn beim Schein der Lampe. Der Comte war eher durch den Blutverlust geschwächt, als daß er schlief; seine nervösen Hände zupften an der Decke.
»Man behauptet, das sei die Bewegung der Sterbenden«, sagte sie. »Ach, wenn er an der Krankheit stürbe, die wir verschuldet haben, würde ich mich nie wieder verheiraten! Ich schwöre es!« – Und sie streckte mit feierlicher Gebärde ihre Hand über den Comte aus. »Ich habe alles getan, um ihn zu retten«, sagte ich. »O ja – Sie sind gut! Aber ich – ich bin die große Sünderin!«
Sie beugte sich auf die leichenblässe Stirn, wischte den Schweiß mit ihrem Haare fort und küßte sie andächtig. Aber ich sah, nicht ohne eine geheime Genugtuung, daß sie diese Liebkosung erledigte wie eine Sühne.
»Blanche – trinken!« sagte der Comte mit tonloser Stimme. »Sie sehen, er kennt nur mich«, sagte sie, als sie.ihm das Glas reichte, und mit ihrem Ton, ihrer liebevollen
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