Die Lilie von Florenz
er ist gerade aus Paris eingetroffen, um bei uns den letzten Schliff zu bekommen ⦠ich sagâ es ja, die ernste französische Oper wird sich immer an uns orientieren müssen.â Sie wirkte sichtlich zufrieden. âUnd du denk noch mal darüber nach, ob es sich mit Allegra nicht wieder richten lässt. Ich werde mein Möglichstes tun, um eure Versöhnung zu beschleunigen, aber du wirst dich ändern müssen.â
Matteo verneigte sich knapp, ohne auf die letzten Worte der Principessa zu antworten. Er verlieà den Salon. Erst vor der Tür verlangsamte er seine Schritte.
Was meinte sie damit, sie wolle ihr Möglichstes tun, um die Versöhnung zu beschleunigen? Wusste sie etwa, wo Allegra sich versteckte? Und wenn es so war â warum sagte sie es ihm nicht?
Heckte die Principessa etwas aus? Es war ihr zuzutrauen â¦
Er war so in Gedanken versunken, dass er den Knaben nicht sah, der ihm entgegen kam. Der Junge wollte sich mit gesenktem Kopf an ihm vorbeischieben, doch da Matteo in diesem Moment abrupt stehen blieb, lief sein Gegenüber direkt in ihn hinein.
âPass doch auf!â, rief Matteo ungehalten und packte den jungen Mann am Arm. âKannst du nicht schauen, wo du hinrennst?â
âVerzeihung, Signore.â Die Stimme des Jungen war kaum mehr als ein Flüstern. âEs tut mir leid, ich â¦â
âWas? Ach, vergiss es. Pack dich fort.â
Er stieà den Jungen von sich und lief weiter. Nach drei Schritten aber hielt er inne.
Etwas war an diesem Jungen. Etwas, das ihn nicht loslieÃ, ohne dass er es genau benennen konnte. Eine unerklärliche Faszination. Matteo zögerte, dann drehte er sich um. Der Knabe stand noch genau dort, wo Matteo ihn von sich gestoÃen hatte, mit gesenktem Kopf. Er atmete heftig.
âHe, du!â
Der Junge fuhr zu ihm herum. Einen Augenblick sah Matteo die hellen Augen, dann senkte der Knabe den Blick und starrte auf die Spitzen seiner Schnallenschuhe.
âBist du der Kastratensänger aus Paris?â
âJa, Signore.â
Matteo trat näher. Er konnte die Angst seines Gegenübers spüren. Angst? Nein. Da war etwas anderes. Keine Angst.
Der Knabe trug eine Perücke mit silbernem Haar. Das Justaucorps und die Weste waren nachtblau, dazu trug er eine hellbraune Hose. Er sah hübsch aus. Ein ebenmäÃiges Gesicht, das noch nicht vom ersten Bartwuchs verunstaltet wurde.
âWie alt bist du, Junge?â
Den Blick noch immer gesenkt, flüsterte der Knabe: âAchtzehn, Signore.â
âDu wirst der Principessa vorsingen?â
Stummes Nicken.
âSieh mich anâ, befahl Matteo.
Der Knabe schüttelte den Kopf.
Matteo trat ganz dicht an den Kastraten. Er wusste nicht genau, warum er das hier tat. Jungen hatten ihn nie besonders gereizt. Es gab Gerüchte, er hielte den einen oder anderen Lustknaben aus, aber das stimmte nicht. Ja, hin und wieder gefiel es ihm, sich einen Knaben ins Bett zu holen. Aber alles, was darüber hinausging, waren jämmerliche Gerüchte, die er weder leugnete noch befeuerte. Denn diese Gerüchte waren es erst, die seinen zweifelhaften Ruf begründet hatten.
Und nun stand dieser Junge vor ihm, zitternd und unruhig. Keine Angst, warum hatte er keine Angst? Matteo spürte, wie seine Erregung wuchs. Er wollte in die Augen dieses Jungen blicken. Ja, einen Moment dachte er darüber nach, wie sich die Haut dieses Knaben wohl anfühlte, wenn er seine Hand nahm. Wenn er mit der eigenen Hand unter die Weste fuhr.
âSieh mich anâ, flüsterte Matteo mit rauer Stimme.
Der Kastrat verharrte regungslos.
âSieh mich an!â, brüllte Matteo, und dann blickte der Junge zu ihm auf.
Beide sprachen nicht.
Matteo schluckte. Sein Schwanz drängte sich hart gegen den Stoff der Hose. Er hob die Hand. Einen Moment wollte er diesem Knaben die Wange streicheln. Er wollte wissen, ob seine Haut so sanft war wie ihre Haut. Allegra.
Wurde er wahnsinnig? Seine Hand zitterte, dann lieà er den Arm wieder sinken.
âDas kann nicht sein â¦â, flüsterte er.
Waren es nicht Allegras Augen, die ihn anblickten? War es nicht ihr Rosenblütenmund, der sich fest zusammenpresste, als wollte er die vollen Lippen vor ihm verbergen? Ihre gerade kleine Nase, ihre rosigen Wangen, es war sie ⦠Ja, er war sicher, es war Allegra, die vor ihm stand. Ihre Augen, die ihn unter den geschwungenen Wimpern ansahen. Die
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