Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
auf den Weg zu.
»Wollen die etwa zu uns?«, fragte Jan.
Albers zeigte hinunter, wo jetzt ein großer LKW mit einem Hänger und ein Bus zu sehen waren, die langsam über den Weg ruckelten.
Zum ersten Mal sprach nun der Sohn. »Sie bringen Essen und Wasser. Danach müssen alle eine halbe Stunde lang ein Gebet sprechen. Zum Schluss suchen sie die aus, die heute Abend zur Prophetin kommen dürfen. Sie heilt sie dort oben in der Siedlung.«
Sein Vater sah ihn mitleidig an. »Du weißt doch am besten, dass sie nicht heilt.«
Der Sohn presste seine rissigen, von Herpesbläschen überzogenen Lippen zusammen. Aus einem zweiten Bus sprangen Männer in schneeweißen Tarnanzügen und bildeten mehrere Gassen vor dem LKW . Jemand schwang die Plane des Hängers zur Seite. Eine weibliche Stimme ertönte aus einem Megaphon und erfüllte das gesamte Tal.
»Ihr, die ihr dürstet, hungert und friert. Euch wollen wirhelfen. Sie sieht euch. Sie hört eure Klagen. Sie lindert euren Schmerz. Doch vorher lasst ab von euren Sünden. Kehrt zurück auf den Pfad des Lichts. Beugt eure Knie vor dem Licht.«
Die Stimme klang nicht hart oder martialisch. Sie war fast liebevoll und voller Zuversicht, so erschien es jedenfalls Jan, und auch Elijah verzog anerkennend den Mund. Jan glaubte fast, die Stimme zu kennen. Aber das musste eine Täuschung sein. Er kannte schließlich keine Sektenanhängerin.
Vor den Fahrzeugen hatten sich mehrere Hundert Menschen versammelt. Sie alle knieten mit einer einzigen Bewegung nieder auf den harten gefrorenen Boden. Männer schwangen sich auf das Dach des Busses und hoben große Musikboxen hinauf. Und während die Menschen knieten und die weißen Männer Säcke und Kanister von der Ladefläche des LKW warfen, erklang machtvoll eine unfassbar laute, aber auch schöne Musik. Jan kannte sie. Es war eine Bachkantate.
»O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe«, murmelte er leise.
Schon hier oben war die Musik so laut, dass sie kein Wort sprechen konnten. Wie laut musste es erst da unten an der Straße sein? Die Menschen verharrten trotz der Nahrungsmittel in ihrer knienden Haltung. Selbst Siechende schienen die Minuten in dieser schwierigen Position hoffend zu ertragen. Erst als das Stück deutlich leiser in ein weiteres Werk des großen Kirchenmusikers überging, durften sie sich erheben. Auch wenn man nicht an das glaubte, was diese Sekte postulierte, so musste man doch zugeben, dass diese Show äußerst gekonnt und professionell war. Ohne Tumulte konnten die Sektenmitglieder ihre Gaben verteilen. Wo eben noch Tod und Verderben war, herrschte jetzt, so Jan es erkennen konnte, eine fast heitere Stimmung.
»Das will ich mir mal aus der Nähe ansehen«, flüsterte Elijah Jan ins Ohr.
Der Pfarrer blickte sie verstört an. »Wieso denn? Ich sagte Ihnen doch bereits, dass die Prophetin nicht heilen kann. Bleiben Sie hier, helfen Sie uns.«
Jan legte beschwichtigend seine Hand auf den Arm des Mannes. »Ich bin Mediziner, an Wunderheilungen glaube ich nicht.Aber ich will mir das ansehen, um zu verstehen, was da vor sich geht. Heute sind es nur Hunderte, wenn die Epidemie weiter wütet, werden hier bald Tausende hoffen, und keiner wird sie aufhalten können.«
Der Pfarrer sah ihn resigniert an. »Ich bete für Sie.«
Der Himmel war aufgerissen, und eine tiefstehende Wintersonne strahlte mit fast rötlichem Licht die Szene der Speisung unwirklich an. Wenige Meter vom Campingwagen entfernt, hatte sich Elijah eine Zigarette angezündet und sah still auf die unter ihm liegende Menschenmenge, die die Hilfspakete und Wasserkanister dankbar entgegennahm.
»Wir irren hier etwas ziellos umher. Wir sollten Regina und Faruk kontaktieren. Lässt du mich teilhaben an deiner Strategie, Elijah?«
Der blies den Rauch in kleinen Kringeln aus und schaute Jan nicht an, als er antwortete. »Ich habe unterwegs eine Nachricht von Faruk erhalten, dass die beiden in Wien mit den Russen reden. Die Russen scheinen auch tief in dieser Pockensache zu stecken.«
»Okay, das hättest du mir auch etwas früher sagen können, du Topagent.«
»Ich wollte es dir nicht in Anwesenheit des Pfarrers erzählen, sondern lieber auf Nummer sicher gehen.«
»Und nun?«
»Wir müssen unauffällig da oben in die Siedlung kommen. Da liegt der Schlüssel. Zwei Dinge sagen mir, dass wir dort die Lösung oder zumindest einen Teil der Lösung finden könnten. Zum einen das Bild oder das ›Werk‹, wie es der Pfarrer nannte. Zum anderen sagt mir mein Bauch,
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