Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
dem Professor für Immunologie fast bedingungslos. Geschickt hatte er in den letzten Jahren in ihrem Umfeld nur Personen aus seinem Dunstkreis positionieren können. Somit war Kritik an seinem Vorgehen selten. Vor wenigen Jahren konnte er die Kanzlerin von der Konstituierung einer Europäischen Seuchenbehörde und eines Krisenreaktionsteams überzeugen. Mit ihnen und der Hilfe der WHO hatte er erst die sofortigen Massenimpfungen durchsetzen und höhere Todesraten vermeiden können. Und nur dank seiner weitreichenden Kontakte waren die jüngsten Forschungsergebnisse zu Atropos von der CDC, der US -Seuchenbehörde mit Sitz in Atlanta, sofort und ohne Umwege über die Geheimdienste hierher nach Helgoland geschafft worden. Und die Ergebnisse waren bizarr, wie er es in einem Vieraugengespräch mit der Kanzlerin knurrig formulierte.
»Atropos ist mir zu perfekt. Es dämmt tatsächlich die Ausbreitung der Pockenviren radikal ein, senkt sofort das Blutfieber und gibt wohl auch einen nachhaltigen immunologischen Schutz.«
»Das klingt doch gut«, hatte die völlig übermüdete Politikerin geantwortet.
»Es wirkt so, als ob es exakt für dieses Virus gemacht wurde. Verstehen Sie? Der Schlüssel passt sozusagen perfekt in das Schloss. Das ist mehr als ein Sechser im Lotto.«
Die Kanzlerin hatte müde den Kopf geschüttelt. »Wenn es schnell hilft und keine dramatischen Nebenwirkungen hat, dann spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. Kann Atalante denn schnell die erforderlichen Mengen liefern?«
Vogel hatte gegrunzt. »Genau das ist es ja. Sie haben genug Volumina auf Lager, zudem wird das Mittel oral eingenommen, lästiges und risikoreiches Spritzen fällt also weg.«
Sie hatte nur mit den Schultern gezuckt.
Vogel sah sie noch einmal an. »Wissen Sie, was Atropos eigentlich heißt?«
Die Kanzlerin verneinte.
»Atropos«, dozierte Vogel, »ist eine der griechischen Schicksalsgöttinnen.«
»Na, dann passt das doch«, wollte die Kanzlerin einen Scherz machen.
Vogel ging näher auf sie zu. »Atropos ist die Göttin, die den Lebensfaden der Menschen durchschneidet und ihre Todesart bestimmt.«
Sie schüttelte den Kopf und ließ ihn stehen.
Um 15 Uhr trafen sie sich zum ersten Mal in einem Konferenzraum im Erdgeschoss. Ridder hatte eine halbe Stunde Zeit, um den neuen Wirkstoff Atropos vorzustellen. Klugerweise hielt sie sich mit Fachchinesisch zurück, wissend, dass mehr Politiker denn Forscher anwesend waren. Wenn die Situation nicht so brisant, so existentiell, gewesen wäre, hätte ein Unbeteiligter den Eindruck haben können, dass es sich um eine Heizdeckenverkaufsfahrt handelte. Nach exakt 30 Minuten beendete Ridder ihren Vortrag. Vogel blieb unberührt. »Sie können noch immer nicht ausschließen, dass häufig erhebliche Nebenwirkungen bezüglich des Immunsystems eintreten?«
»Wie ich bereits sagte: Auch wir hätten gern mehr Zeit für weitere klinische Tests gehabt, aber bislang können wir gravierende Nebenwirkungen ausschließen.«
Vogel sah sie jetzt direkt an. »Was ist mit dem Langzeitfolgentest? Er ist abgebrochen worden, wie ich hörte.«
Ridder schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. »Ja, wir haben keinerlei nachhaltige Nebenwirkungen feststellen können. Das Präparat ist perfekt. Und Sie wissen das, Herr Professor Dr. Vogel. Hätte Ihr Liebig-Institut weniger bürokratische Hürden aufgebaut, so wären wir schon viel weiter. Wie viele Menschenlebenwollen Sie noch riskieren, nur weil Sie mit Ihrem Impfmittel nicht richtig lagen? Es hat versagt. Sie haben versagt. Gestehen Sie es ein, und blockieren Sie nicht aus purer Eitelkeit die Rettung unserer Nation.«
Vogel kannte diesen Vorwurf. Sein jahrelanger Kampf mit den Pharmakonzernen hatte ihn gegen solche Vorwürfe quasi immun gemacht. Er wusste zu genau, dass für diese scheinbar kleine Firma aus Holland der Exklusivauftrag der Bundesregierung ein gigantisches Geschäft bedeutete. Und er wusste, dass hinter dieser Firma der junge Köhn stand. Vogel roch Unheil, aber die klinischen Tests, auch seiner Behörde, waren zu gut. Unter normalen Umständen wäre dieses Präparat nur wegen bürokratischer Barrieren noch nicht zugelassen worden. Er wusste das, Ridder wusste das. Aber jetzt galten die Notstandsregeln. Er konnte sein Veto einlegen, und die Kanzlerin würde seinem Rat folgen, zumindest war es bislang so.
»Wir brechen hier ab und machen morgen früh weiter. Ich will noch einmal mit den Kollegen vom Pasteur Institut in Paris sprechen. Dort
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