Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
Hauptstadt mit einem Leihwagen zu einem horrenden Mietpreis der untergehenden Wintersonne entgegengefahren. Faruk hatte lange auf Regina einreden müssen.
»Sie kennt sich sehr gut mit diesem Kunstkram aus. Sie hat Ezechiel nicht nur gekannt, sondern war mit ihm befreundet. Und sie sieht eine Verbindung zwischen Köhn, Ezechiel und diesem komischen Bild. Sie weiß mehr als wir. Warum nehmen wir sie nicht mit?«
Regina hatte ihr Gesicht schmollend hinter einer dampfenden Tasse Tee versteckt. »Sie wirkt nicht echt. Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl. Was, wenn wir in eine brenzlige Situation geraten? Dann ist sie ein echter Klotz am Bein.«
»Wir recherchieren in einem österreichischen Dorf, nicht in einem Kriegsgebiet.«
Irgendwann hatte Regina grollend zugestimmt, Faruks Telefonat mit Setner mit grimmigen Gesichtsausdrücken kommentiert und dann den Leihwagen abgeholt.
Am Abend wollten sie Rohrbrunn erreicht haben. Der Ort lagam Ufer der Donau, nahe Linz, einer Stadt in Oberösterreich. Faruk hatte die Fahrt mit gemischten Gefühlen angetreten. Er kannte Kälte und Schnee auch aus Syrien. In einigen Gegenden des Nordens und an den Hängen des Antilibanons war der Winter oft kalt, und auch Schnee lag zuweilen im Norden. Aber diese Schneemassen hier waren ihm fremd. Wann immer sie ausstiegen, ob zum Tanken oder weil Regina rauchen wollte, was ihr Setner schon nach wenigen Minuten im Auto verbot, nahm er die Landschaft als abweisend und gefährlich wahr. Wenn Menschen in den Dörfern, die sie passierten, zu sehen waren, trugen sie Schal und Mütze, gingen geduckt und mit einer Atemwolke vor dem kaum erkennbaren Gesicht. Er verstand ihre Sprache, hörte auch die Zwischentöne, bemerkte den Unterschied zwischen der deutschen und der österreichischen Ausdrucksweise. Aber dennoch war ihm dieses Volk seltsam fremd geblieben. Einerseits gaben die Menschen sich höflich und zurückhaltend, hielten Distanz, lachten selten. Aber andererseits waren sie wieder unfassbar unfreundlich und offen feindselig. Oder sie überschritten mit eindeutig erotischen Andeutungen und Witzen jede Anstandsgrenze. Dabei besaß dieses Volk eine Fülle an Kultur, selbst einfache Menschen wirkten gebildet, kein Vergleich zu Syrien mit über 23 Prozent Analphabeten. Hier war es gerade einmal ein Prozent der Bevölkerung. Aber waren sie darauf stolz? Nein, sie liefen missmutig, melancholisch über die Zukunft klagend herum. Romantisch, klug, hart und unfreundlich – so hatte sein Freund aus der UdSSR es einmal auf den Punkt gebracht.
Dr. Setner besaß ein profundes Wissen über Kunst, Literatur und Geschichte. Wie konnte Regina nur so abweisend sein? In seinem Land brachte man Akademikern immer Respekt, zuweilen sogar Demut entgegen. Man hörte ihnen zu, wollte von ihrem Wissensschatz profitieren. Regina starrte stattdessen nur mürrisch aus dem Fenster auf die zugefrorene Landschaft, die früh in das Dunkel der Nacht tauchte.
»Was ist das hier für eine Gegend? Verzeihen Sie meine Unkenntnis, Frau Doktor Setner. Aber wie die meisten kenne ich leider nur Wien und Salzburg«, sagte Faruk charmant.
»Nun, Linz ist immer im Schatten der von ihnen genannten Städte geblieben. Obwohl es nach Wien und Graz die drittgrößte Stadt ist, gibt es dort wenig offensichtliche Sehenswürdigkeiten. Das liegt einerseits an den Stahlwerken, die hier Arbeit und Wohlstand, aber eben auch Dreck und Gestank brachten. In den letzten Jahren hat man hier aber viel getan. Doch das dort lässt sich eben nicht verheimlichen.«
Sie zeigte auf ein blaues Hinweisschild.
»Mauthausen«, las Faruk. »Was ist da?«, fragte er, denn er hatte noch nie etwas davon gehört.
Regina seufzte. »Schon wieder diese Platte«, nörgelte sie.
Setner stieß mit der Zunge an die Zähne. »Ts, ts, ts. Es ist ein Phänomen dieser Generation, dass sie dem Grauen mit Gleichgültigkeit und Ignoranz entgegentritt.«
»Frau Setner, wir sind in der Schule damit zugeballert worden, das ist …«
»Na, was ist das?«
Faruk unterbrach Setner freundlich. »Ich weiß es jedenfalls nicht. Würden Sie es mir erklären? Regina wird sich derweil sicher um den Verkehr kümmern wollen.«
Regina verzog das Gesicht, schwieg aber.
»Nun, in Mauthausen war das erste Konzentrationslager Österreichs. Die Nazis töteten dort mehr als 150000 Menschen auf unglaublich grausame Art und Weise. In 49 Außenlagern wurden mehr als 400000 Gefangene aus allen europäischen Ländern zu qualvoller Arbeit
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