Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
hatte. Poch übersah die Ignoranz seines Schülers. Er würde früh genug in die wunderbare Welt eintauchen, das hatte er sich und auch ihm versprochen. Sie hätten auch zu Fuß über den Markusplatz gehen können, aber Poch wollte dem Jungen noch etwas bieten und seine Füße schonen. Er war müde, und auch das mürrische Gesicht des Gondoliere, der sie von ihrem Hotel zu der Hinterseite des Stadtmuseums, des Museo Civico Correr, rudern sollte, heiterte ihn nicht auf. Immerhin war es hier in Venedig nicht so kalt und die Kanäle waren nicht befahrbar.
Die Reise hierher hatte einer Odyssee geglichen. Der israelische Geheimdienst hatte ihn auf Geheiß Elijahs nach Tel Aviv gebracht, und von dort waren sie mit einer Linienmaschine nach Venedig gereist – Economy! Er war solche Strapazen nicht mehr gewohnt. Aber der Israeli zahlte gut, und wenn er die Suche nach Informationen über Boschs Bild mit einem süßen Liebeswochenende verbinden konnte, war ihm das nur recht. Lediglich der übliche Geiz des Mossads ärgerte ihn. Tatsächlich hatten sie nur ein Zimmer in einer Touristenhölle für ihn gebucht. Und seinen jungen Begleiter Jürgen wollten sie schon gar nicht bezahlen. Er musste sich wieder einmal schrecklich aufregen. So wurde schließlich ein Doppelzimmer im Hotel Danieli reserviert. Das war das mindeste.
Er war mit einem pensionierten Kurator des Museo Correrverabredet. Poch kannte Giovanni von den Wagner-Festspielen auf dem Bayreuther Hügel. Sie teilten einst ihre exzessive Liebe zu Wagner auf harten Holzstühlen und später in einer kleinen Pension in Franken mit Austern, Champagner und zwei Landjungen. So etwas, wie auch die Liebe zur Kunst, zur Geschichte, verband – und ein Geheimnis. Giovanni war alles, nur kein echter Italiener. Er kam mit 18 Jahren aus Deutschland in die Lagunenstadt, studierte in Bologna Kunst und Geschichte und verliebte sich, zurück in Venedig, in einen Hotelbesitzer. Seine Familie, aus einem Dorf an der Elbe stammend, wollte das nicht gutheißen. So italienisierte er seinen Namen und nannte sich fortan Macanzone. In einem schwachen Moment hatte er es Ivan gestanden und unter Tränen seine Verschwiegenheit erbeten. Binnen kürzester Zeit verwandelte er sich von einem niedersächsischen Landadelsvertreter in einen echten Venezianer, dessen örtlicher Dialekt perfekt und selbst für Einheimische nicht zu unterscheiden war. Nach Jahren des vorsichtigen Beäugens übertrug ihm die Stadt Venedig und später das Land Italien die Betreuung sämtlicher Kunstschätze des Dogenpalastes. Macanzones Stolz war unermesslich. Kurz vor seinem Ruhestand aber geriet er in Intrigen und verlor seine Position.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht hievte der dürre Gondoliere den in einen Pelzmantel gehüllten Poch aus seinem schon ziemlich der Wasserlinie näher gekommenen Boot. Mit einem Anflug von Ekel sah er auf die vielen Ringe mit kleinen roten und grünen Steinen, die Poch an seinen monströs fleischigen Fingern trug. Sein Begleiter sprang dagegen behände auf die Platten des schmalen Fußwegs, der sie zu einem kleinen Restaurant im Schatten des Markusplatzes führte. Die Stadt war fast menschenleer. Touristen aus Übersee waren angesichts der schrecklichen Pockenbilder aus Deutschland zu Hause geblieben. Der ohnehin schon touristenarme Dezember hatte den Venezianern nun einen Komplettausfall zu Weihnachten beschert. Poch gefiel das. Kein Tourist bedrängte ihn, wollte ein Foto von sich und seiner hässlichen Freundin mit dem Campanile im Hintergrund haben. Wie er sie verachtete: »Sie sehen das Leben nurnoch durch eine Linse, statt einzuatmen und es aufzusaugen. Komm, es ist gleich hier.«
Sein Begleiter zeigte sich maulig. »Ich bin zum ersten Mal hier. Kann ich mir den Markusplatz und den Dom ansehen?«
»Morgen, mein Engel, morgen. Der Dom ist bereits geschlossen. Aber …« Poch hielt inne. Vielleicht war es besser, den Jungen ein wenig herumlaufen zu lassen. Dann war er mit dem Kurator allein und ungestört. »Gut, in einer Stunde treffen wir uns in der Enoteca Carla. Hier ist eine Visitenkarte des Restaurants. Zeig Sie einfach irgendjemandem. Er wird dir den Weg weisen. Macanzones Wohnung liegt direkt darüber. Uhrenvergleich!«
Der Junge sah gelangweilt auf seine große Uhr, die ihm Poch noch am Flughafen in Tel Aviv geschenkt hatte. Dann verschwand er im kalten Nebel.
»Du siehst blendend aus«, rief jemand aus der Ecke der kleinen Trattoria.
Ein langgezogener Gang mit sechs kleinen
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