Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
waren schon längst überlastet. Nun trieb die Dauerkälte die vermummten Gestalten weg von den Brücken und Hauseingängen, hinein in die Tunnel und Nischen der U-Bahn, sehr zum Missfallen der morgendlichen Pendler, die über Schlafsäcke und an bellenden Hunden vorbeihasteten. So früh am Morgen wollte man das Leid noch nicht sehen.
Der Bus hatte in der Nacht bis kurz vor fünf Uhr kreisförmig die sechs Personen an den Endhaltestationen der U-Bahn abgesetzt. Und so standen drei Männer und drei Frauen an der Bahnsteigkante, hustend und schniefend, aber bereit, im Untergrund der Stadt von Station zu Station zu fahren. Der Bus fuhr weiter Richtung Norden. Dort war sein Ziel oberirdisch.
Köln, Deutschland, 10. 12., 17.25 Uhr
Die Köln Arena ist Deutschlands größte Mehrzweckhalle. Sie fasst bis zu 20000 Menschen und liegt in der Nähe des Rheins. Der Bus erreichte rechtzeitig den großen Parkplatz, wendete, die Türen öffneten sich, und zwei Personen stiegen aus. Am heutigen Abend würde die Halle ausverkauft sein, ein Berliner Spaßmacher trat auf. Es war sein neues Bühnenprogramm, aus ganz Deutschland waren seine Fans angereist. Das Fernsehen übertrug die Show zeitversetzt. Die beiden Männer, die den Bus verließen, gingen getrennte Wege. Der eine, sehr dick und kurzbeinig,trug einen blauen Overall. Er schwitzte. Jede seiner Bewegungen schien ihm Schmerzen zu bereiten. Sein Gesicht war verzerrt. Auch der zweite, dünn und schlaksig, schien nicht in guter Verfassung zu sein. Er strebte zum Haupteingang, wo schon Menschenmassen auf Einlass warteten. Er kämpfte sich ohne große Rücksicht nach vorn. Anders der Dicke, der am Seiteneingang, wo die Roadies noch das letzte Equipment für die Show hereintrugen, seinen Ausweis vorzeigte. Er sollte eine defekte Trockeneisnebelanlage reparieren. Die Security nahm ihn kaum wahr. Es gelang ihm schnell, die Maschine zu reparieren, doch er hielt es für angebracht, während der Show noch hinter der Bühne zu bleiben. Die Roadies sahen den äußerst krank wirkenden Mann mitleidig an, sie kannten das. Es durfte keine Krankheit geben, wenn man einen Auftrag zu erledigen hatte. Nach einer Stunde luden sie den Dicken in den Backstage-Bereich ein, wo es ein schlichtes Essen und Getränke gab. Der Dicke freute sich über Frikadellen und Bier. Kurz vor dem Ende der Show, das Gerät hatte mehrmals erfolgreich die Bühne sowie die ersten zehn Reihen in Nebel getaucht, war er verschwunden. Niemand ahnte, dass der Dicke, wenige Meter von der Arena entfernt, seinen massigen Körper über das Geländer der Severinsbrücke in den träge dahinziehenden Fluss wuchtete und wenige Sekunden später von der Schraube eines holländischen Containerschiffs zermalmt wurde. Der Auftritt des Spaßmachers war zu diesem Zeitpunkt bereits vorbei. Das Publikum war begeistert. Noch drei Konzerte würde er hier in den nächsten Tagen geben – alle waren bereits ausverkauft.
Schlagalm/Tegernsee, Deutschland, 16. 12., 12.35 Uhr
Der Tisch war überladen mit Obst, Getränken, Brötchen aller Art sowie, dem Geruch nach zu urteilen, Rühreiern mit Speck. Mit mühsam unterdrückter Gier setzte Regina sich an denTisch. Es war Sonntag, und sie wollte heute abreisen, obwohl sie gern geblieben wäre. Statt den Auftrag anzunehmen und sofort weiterzureisen, hatte sie sich von dem jungen Hausherrn dazu überreden lassen, ihre Skikünste vorzuführen. Und so hatten sie und Arwed Köhn den gestrigen Tag mit Skifahren im Tiefschnee verbracht. Ihre Erkältung war wie weggeflogen. Aber jetzt wollte sie die Gastfreundschaft dieser Leute nicht weiter strapazieren. Es waren schließlich Auftraggeber und keine Freunde.
Arwed Köhn starrte auf einen großen Fernseher, der an der Seitenwand befestigt war. Es waren Bilder aus dem deutschen Bundestag. Regina fiel es plötzlich wieder ein. Am Freitag war der Tag des Misstrauensvotums gegen die Kanzlerin gewesen. Jan hatte ihr davon in Wien erzählt. Nach den Unruhen der Muslime im Sommer war es immer chaotischer in der Koalition zugegangen. Neuwahlen sollten Klärung bringen, und dahin führte nur ein Vertrauensentzug des Parlaments.
»Stimmt ja, Sie wählen bald. Die Große Koalition ist am Ende«, versuchte sich Regina in Konversation.
Er biss in sein Brötchen und nickte nur kurz. Regina hörte den Nachrichten interessiert zu. Köhn schien von der Veranstaltung nicht besonders begeistert zu sein.
»Stört Sie das da?«, fragte sie und deutete auf die Bilder.
Er verzog
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