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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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starrte ihn ohne Unterlass an und Cales Wille begann zu schmelzen, als ob Säure in seine Seele gegossen würde. In ihm stieg ein schreckliches Verlangen auf, alles zu beichten. Furcht überkam ihn, seit Kindesbeinen an wusste er, dass dieser Mann zu allem fähig war, dass Schmerz und Leid seine ständigen Begleiter waren, dass alles Leben in seiner Gegenwart dahinwelkte.
    Bosco studierte abermals das Blatt Papier und unterzeichnete mit seinem Namen. Er faltete es und versiegelte es mit rotem Siegellack. Dann reichte er es Cale.
    »Bring das dem Zuchtmeister.«
    Ein kalter Hauch wehte durch Cales Seele.
    »Jetzt gleich?«
    »Ja.«
    »Es ist schon dunkel. Das Dormitorium wird in wenigen Minuten geschlossen.«
    »Sorge dich deswegen nicht. Ich kümmere mich darum.«
    Cale rührte sich nicht.
    Bosco blickte erneut auf.
    »Gibt es noch etwas, Cale?«
    Zwei Überlegungen machten Cale zu schaffen. Wenn er beichtete, könnte der Kriegsmeister ihm helfen. Schließlich war er sein Schützling. Er könnte ihn retten. Doch eine andere Stimme in Cales Seele ermahnte ihn: »Beichte nicht! Bekenne dich niemals schuldig! Nie! Streite alles ab. Was auch komme!«
    »Nein, gnädiger Vater.«
    »Dann geh.«
    Cale drehte sich um. Am liebsten wäre er losgerannt, doch er kämpfte den Drang nieder und verließ gemessenen Schrittes das Zimmer. Draußen schloss er die schwere Tür und starrte sie an, als wäre sie aus Glas, in den Augen Tränen des Hasses.
    Schließlich machte er sich auf den Weg, hielt jedoch bei einer Wandnische an, die von einer Kerze schwach erleuchtet wurde. Ihm war klar, dass Bosco ihn auf die Probe stellen wollte, dass er ihm die Gelegenheit bot, den Brief zu öffnen, ein Vergehen, das, würde es entdeckt, seine sofortige Hinrichtung zur Folge hätte. Sollte Bosco schon über die gestrigen Ereignisse unterrichtet sein, könnte der Brief die Anweisung an den Zuchtmeister sein, Cale hinzurichten – das sähe Bosco ähnlich, den Zögling zum Überbringer seines eigenen Todesurteils zu machen. Aber es könnte auch lediglich einer der vielen Versuche des Kriegsmeisters sein, ihn zu prüfen.
    Er atmete tief durch und bemühte sich, die Dinge ohne Furcht so zu sehen, wie sie waren. Eines war klar: Selbst wenn der Brief keine todbringende Botschaft enthielt, wären die Konsequenzen auf jeden Fall unangenehm. Öffnete er ihn aber, hieße das den sicheren Tod gewärtigen. Damit machte er sich auf den Weg zum Amtszimmer des Zuchtmeisters, während es in seinem Kopf die ganze Zeit über hämmerte, was er wohl täte, wenn es zum Schlimmsten käme.
    Obwohl er sich einmal im Gewirr der Gänge verlaufen hatte, stand er zehn Minuten später vor der Kammer des Heils. Sein Herz pochte vor Furcht und Zorn, als er sich der mächtigen Tür näherte. Dann sah er, dass sie einen Spalt breit offen stand.
    Cale zögerte und überlegte, was er tun sollte. Er blickte noch einmal auf den Brief in seiner Hand, dann schob er die Tür so weit auf, dass er ins Innere schauen konnte. Am anderen Ende des Zimmers konnte er vage die Gestalt des Zuchtmeisters ausmachen, der leise vor sich hin sang.
Unser Väter Glaube steht so fest wie je,
Kerker, Feuer und Schwert zum Trotz,
Da dum de dum de dum de dum dum,
Unser Väter Glaube, dum de dum,
Halten wir die Treue bis in den Tod.
    Plötzlich hielt er in seinem Singsang inne, da offenbar etwas seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Als sich Cales Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, erkannte er, dass sich der Mönch über einen langen, schmalen Tisch beugte. Etwas lag auf dem Tisch, dessen Ende mit einem Tuch bedeckt war. Der Zuchtmeister fiel wieder in seinen Singsang ein und ließ etwas Kleines und Hartes auf einen Blechteller fallen. Er nahm eine Schere, die daneben lag, und setzte seine Arbeit fort.
Wie süß wäre doch der Kinder Schicksal,
Wenn sie wie die Väter für dich sterben dürften!
Da dum de dum de dum de dum de dum
Da dum de dum de dum de dum.
    Cale schob die Tür noch etwas weiter auf. Im dunkleren Teil des Zimmers entdeckte er einen weiteren Tisch, auf dem ebenfalls etwas zu liegen schien. Schließlich richtete sich der Zuchtmeister auf, trat an eine Kommode zu seiner Rechten heran und suchte etwas in einer Schublade. Nun konnte Cale deutlich sehen, über was sich der Zuchtmeister gebeugt hatte, und tiefes Entsetzen überkam ihn: Auf dem Tisch lag ein Körper, den der Zuchtmeister offenbar sezierte.
    Er hatte den Brustkorb mit großem Geschick bis zum Unterleib geöffnet und die

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