Die linke Hand Gottes
türmen.«
»Ein ziemlich hohes Risiko, scheint mir.«
»Wären wir geblieben, wären wir jetzt schon tot.«
»Auch das ist wahr.« Er überdachte alles, was er in der kurzen Zeit, da sie nebeneinander im Hof spazieren gingen, gehört hatte. »Und die Scablands?«
»Das war für uns das beste Versteck. Man kann nicht weit sehen wegen der vielen Höhen und Hügelkämme.«
»Die Erlösermönche setzen bei ihren Menschenjagden Hunde ein. Ich habe einen gesehen – ein scheußliches Vieh, aber eine ausgezeichnete Spürnase.«
»Ich bin dahintergekommen, wie man sie überlisten kann.« Cale erklärte es ihm, verschwieg aber die doppelte Flucht. Ihre Flucht mochte ja stimmen, aber die Ereignisse, die zu ihr geführt hatten, klangen überhaupt nicht plausibel. Im Übrigen hatten sie sich nach Kleists dummdreister Behauptung, dass sie Zigeuner seien, darauf verständigt, ihre Geschichte möglichst schlicht zu halten. Allen war klar, dass ihnen die Mönche über die Zigeuner nur Märchen erzählt hatten. Den heimtückischen Überfall der Zigeuner auf die Ordensburg hatte es nie gegeben, genauso wenig wie die exemplarische Strafexpedition, um ihnen die Leviten zu lesen. Vielmehr hatten sie die Zigeuner – Männer, Frauen, Kinder – allesamt ausgerottet.
»Werdet Ihr uns dem Suchtrupp der Erlöser ausliefern?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
Vipond lachte. »Eine gute Frage. Wir haben keinen Grund dazu. Wir unterhalten nicht einmal diplomatische Beziehungen zu ihnen. Wenn überhaupt, treten wir nur über die Duena mit ihnen in Kontakt.«
»Wer sind die Duena?«
»Weißt du, was ein Söldner ist?«
»Jemand, der fürs Töten bezahlt wird.«
»Die Duena sind Söldner, die statt zu töten für das Verhandeln bezahlt werden. Wir haben mit den Erlösern so wenig zu tun, dass es billiger ist, wenn wir andere dafür bezahlen, das für uns zu übernehmen. Aber das muss sich jetzt ändern. Aus Nachlässigkeit sind wir nicht mehr auf dem Laufenden. Du könntest uns sehr nützlich sein. Ihr Krieg im Osten hat sie ein Jahrhundert lang beschäftigt. Vielleicht führen sie hier etwas im Schilde oder anderswo. Das müssen wir herausbekommen.« Er lächelte den Jungen an. »Also kannst du mir vertrauen, weil du mir von Nutzen bist.«
»Ja«, sagte Cale nachdenklich. »Vielleicht.«
Unterdessen waren sie wieder an der Tür zum Zellentrakt angekommen. Vipond versetzte der Tür einen heftigen Stoß und sogleich öffnete sie sich. Er drehte sich zu Cale um.
»In ein paar Tagen werdet ihr alle in ein angenehmeres Quartier verlegt. Bis dahin wird für ein paar Erleichterungen gesorgt – anständiges Essen und Bewegung an der frischen Luft.«
Cale nickte nur und ging durch die offene Tür, die sich gleich wieder hinter ihm schloss.
Vipond wandte sich an Albin, der ihm gefolgt war. »Ganz erstaunlich, dieser Junge, anders als alle, die ich je gesehen habe. Sollten Erlösermönche hier auftauchen und nach den Flüchtigen fragen, dann sagt ihnen nichts und lasst sie nicht über die Vorstadt hinauskommen. Die Jungen werden behandelt, als stünden sie unter Hausarrest.« Schon im Gehen rief Vipond noch über die Schulter: »Und bringt mir das Mädchen morgen um elf Uhr.«
ZWÖLFTES KAPITEL
A lso, Riba«, sagte Vipond so sanft wie ein liebenswürdiger Lehrer, »ehe die drei jungen Männer den Mönch, der sich an dir vergreifen wollte, zu Boden warfen und bewusstlos schlugen, bist du vorher noch nie Männern in der Ordensburg begegnet.«
»So ist es.«
»Und das, obwohl du seit deinem siebten Lebensjahr immer nur dort gewesen bist und man dich, nach deiner eigenen Schilderung, wie eine Prinzessin verwöhnt hat. Das ist doch seltsam, findest du nicht auch?«
»Ich kannte es eben nicht anders. Man hat uns fast alle Wünsche erfüllt, nur eines war bei strenger Strafe verboten: unser Quartier zu verlassen. Die Gemächer und Höfe waren groß und die Mauern unüberwindbar. Im Übrigen waren wir glücklich.«
»Haben euch die Frauen, die sich um euch gekümmert haben, denn nicht erklärt, weshalb ihr so großzügig und liebenswürdig behandelt wurdet?«
Riba stieß einen tiefen Seufzer aus zum Zeichen, dass sie sich von einem lang gehegten Traum verabschiedet hatte.
»Sie behaupteten, mit vierzehn Jahren würden wir zu Bräuten erkoren und dann an einem noch bezaubernderen Ort für immer glückselig leben. Dazu aber müssten wir so vollkommen wie möglich werden.«
»Vollkommen? In welcher Hinsicht?«, fragte der nun doch leicht
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