Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
gerade weit im Voraus Bescheid gegeben hast.«
»Mir war nicht klar, dass ich dir weit im Voraus Bescheid geben muss.« Abwehr hatte sich in Lincolns Ton eingeschlichen. »Ich habe nicht den Eindruck, dass du momentan nach Stechuhr arbeitest. Eigentlich arbeitest du gar nicht, weißt du?«
»Ja, ich weiß.« Clara, die sich zunehmend unwohl damit fühlte, wie sich das Gespräch entwickelte, wirbelte die Eiswürfel in ihrem Wasserglas herum.
»Entschuldige, aber ich denke, deine Zeitkapsel-Liste kann mal ein paar Wochen warten.« Er zuckte mit den Schultern. »Warum tust du dich so schwer? Auf deiner Liste geht es schließlich nicht gerade um Leben oder Tod.«
Die Art, wie er die Sache abtat, ließ sie zusammenzucken. »Genau genommen«, sie blinzelte nervös, überrascht und verletzt davon, wie wenig ernst er die Sache nahm, »habe ich nur noch einen Monat, um alles darauf umzusetzen.« Sie zupfte die Serviette auf ihrem Schoß zurecht. »Und du magst ja anders darüber denken, aber für mich ist es durchaus entscheidend.« Gekränkt wich Clara Lincolns Blick aus. »Ich dachte, das wüsstest du«, sagte sie leise.
Lincoln schluckte schwer, sein Gesichtsausdruck wurde weicher. »Es tut mir leid. Ich wollte damit nicht andeuten …«
»Schon okay.« Sie sah das Bedauern in seinen Augen und wollte die Dinge nicht noch schlimmer machen, indem sie diese unangenehme Unterhaltung eskalieren ließ.
»Nein, das kam falsch rüber«, betonte Lincoln. »Ich weiß, wie wichtig dir deine Zeitkapsel-Liste ist, und glaub mir, ich respektiere das voll und ganz.«
Clara seufzte und zwang sich zu einem kleinen Lächeln, aber sie merkte, dass sie dichtmachte. »Schon okay. Wirklich.« Sie wollte mit Lincoln da nicht noch tiefer hineingeraten. Zumindest nicht heute. Nicht, während sie Mühe hatte, seine überraschende Einladung richtig einzuordnen und den daraus resultierenden Zweifel und die Verwirrung. »Ich würde sagen, wir wechseln das Thema. Ist das okay?«
»Ja.« Lincoln nickte. »Natürlich.« Mit einer schnellen Bewegung nahm er das Kuvert wieder an sich und ließ es in seiner Jackentasche verschwinden.
»Das hier war ja eigentlich als schöner Abend gedacht, und das soll es auch werden!«, erklärte Clara, nahm die Speisekarte zur Hand und schlug sie auf. »Ich bin am Verhungern! Möchtest du, dass wir uns die Hauptgerichte teilen? Wir könnten jeder eins aussuchen?« Sie richtete den Blick weiter auf die gedruckten Buchstaben vor sich und ließ ihm keine Zeit, darauf zu antworten. »Oh, schau mal hier. Die Spezialität des Hauses, der ›Feierliche Genuss vom Küchenchef‹, das klingt doch nach einer perfekten Vorspeise. Das müssen wir bestellen. Was meinst du?«
Lincoln zog überrascht die Augenbrauen hoch. Aber nicht auf gute Art überrascht. Er nickte. »Äh … klar. Das klingt toll.« Er fand das Gericht auf seiner Karte. »Sollen wir es mit Riesengarnelen nehmen?«
»Unbedingt«, erwiderte Clara ein wenig zu enthusiastisch. »Je mehr Garnelen, desto besser!«
Lincoln schmunzelte leicht. »In dem Fall sollten wir vielleicht auch noch ›Garnelen bevorzugt‹ bestellen.«
Endlich erschien die Kellnerin, die sie schon oft bedient hatte, an ihrem Tisch. »Hallo! Das ist ja mein Lieblingspärchen!« Sie grinste breit. »Darf ich Ihnen erst mal was zu trinken bringen?«
»Oh, ja!«, antworteten Clara und Lincoln gleichzeitig.
Clara und Lincoln saßen im Auto auf dem Weg zurück in seine Wohnung, als ein Lied im Radio kam, bei dem Claras Herz beinahe aufhörte zu schlagen. Es traf sie wie eine Kombination aus Pfefferspray- und Elektroschockattacke und übermannte sie mit solcher Wucht, dass sie sich bewusst daran erinnern musste weiterzuatmen.
Während Lincoln unbeirrt darüber plauderte, dass allein ein Rückenwirbel des Argentinosaurus die unfassbare Länge von einem Meter dreißig hatte, ließ Clara, die plötzlich das Bedürfnis nach frischer Luft hatte, das Beifahrer fenster ganz herunter.
»Night and Day« von Frank Sinatra war der erste Song, zu dem sie und Sebastian miteinander getanzt hatten. Auf der Verlobungsparty eines gemeinsamen Freundes an einem Privatstrand hatten sie sich im Licht des Vollmonds tanzend aneinandergeschmiegt. Monate später gestanden sie sich gegenseitig, dass sie sich beide bei diesem unvergesslichen Tanz am Sandstrand ineinander verliebt hatten. Über die Jahre ihrer Beziehung hatten Clara und Sebastian dann noch zahllose besondere Momente zu den Klängen »ihres Lieds«
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