Die Liste
musste ich jede Woche etwa zweiundzwanzig Seiten mit Lokalnachrichten füllen.
Die Nachrufe machten mindestens eine Seite aus, wobei ich jedes einzelne Wort selbst schrieb. Davey Bigmouth Bass füllte zwei Sportseiten, obwohl ich häufig mit der Zusammenfassung eines Footballspiels der Junior-Highschool oder einem packenden Bericht über einen Zwölfjährigen, der einen kapitalen Hirsch geschossen hatte, aushelfen musste. Margaret stellte eine Seite für Religion, eine für Hochzeiten und eine mit Kleinanzeigen zusammen. Baggy, der schon vor neun Jahren nicht viel geschrieben hatte, hatte sich inzwischen fast völlig dem Suff ergeben und brachte höchstens noch einen Artikel pro Woche zustande, der natürlich immer auf der Titelseite gedruckt werden sollte. Redakteure kamen und gingen mit frustrierender Regelmäßigkeit. In der Regel hatten wir einen, manchmal auch zwei angestellt, die ihr Gehalt allerdings nicht wert waren. Ich musste ihre Artikel Korrektur lesen und bearbeiten, und irgendwann war ich dann so weit, dass ich wünschte, ich hätte es gleich selbst gemacht.
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Deshalb schrieb ich inzwischen fast alles selbst. Ich hatte zwar Publizistik studiert, aber nie den Hang verspürt, innerhalb kurzer Zeit größere Mengen Wörter zu Papier zu bringen. Als ich plötzlich Herausgeber einer Zeitung war und ins kalte Wasser geworfen wurde, stellte ich erstaunt fest, dass ich lange, anschauliche Artikel über fast alles schreiben konnte. Aus einem verhältnismäßig glimpflich abgegangenen Verkehrsunfall, bei dem es nicht einmal Verletzte gegeben hatte, machte ich einen mit atemlosen Zitaten von Augenzeugen und Rettungssanitätern gespickten Artikel für die Titelseite. Ein kleiner Anbau an eine Fabrik hörte sich bei mir an wie ein Segen für das Bruttosozialprodukt des Landes. Ein Kuchenverkauf, den die Frauengruppe der Methodistenkirche veranstaltet hatte, brachte achthundert Wörter. Eine Verhaftung wegen Drogenbesitzes klang, als wären die Kolumbianer ungehindert auf die unschuldigen Kinder Clantons losgelassen worden. Eine Blutspendeaktion der Rotarier vermittelte den Eindruck, es gäbe eine kriegsbedingte Knappheit von Blutkonserven. Drei gestohlene Pick-ups in einer Woche wurden zum organisierten Verbrechen.
Und ich schrieb über die Menschen in Ford County. Die Reportage über Miss Callie war mein erstes Porträt gewesen, und im Laufe der Jahre versuchte ich, jeden Monat mindestens einen Artikel dieser Art zu bringen. Ich berichtete über einen Mann, der den Todesmarsch von Bataan überlebt hatte, den letzten im County wohnenden Veteranen des Ersten Weltkriegs, einen Matrosen, der Pearl Harbor miterlebt hatte, einen Pastor im Ruhestand, der fünfundvierzig Jahre lang eine kleine Kirchengemeinde auf dem Land betreut hatte, einen alten Missionar, der einunddreißig Jahre im Kongo gelebt hatte, einen Absolventen der Highschool, der in einem Musical am Broadway als Tänzer erfolgreich war, eine Dame, die in 449
zweiundzwanzig amerikanischen Bundesstaaten gewohnt hatte, einen Mann, der siebenmal verheiratet gewesen war und frisch verheirateten Paaren Ratschläge gab, Mr Mitlo, unseren Vorzeigeeinwanderer, einen Basketballtrainer, der sich zur Ruhe setzen wollte, einen Küchenhelfer aus einem örtlichen Restaurant, der sein ganzes Leben lang Eier gebraten hatte, und so weiter. Die Porträts waren immer sehr erfolgreich.
Doch nach neun Jahren standen auf der Liste mit interessanten Persönlichkeiten aus Ford County nur noch wenige Namen.
Ich war es leid zu schreiben. Zwanzig Seiten die Woche, zweiundfünfzig Wochen im Jahr.
Jeden Morgen wachte ich auf und dachte entweder an einen neuen Artikel oder an einen anderen Blickwinkel für einen alten. Jede noch so kleine Neuigkeit, jedes ungewöhnliche Ereignis war Anlass genug, einen aufgeblähten Bericht zu verfassen und ihn irgendwo in der Zeitung abzudrucken. Ich schrieb über Hunde, Oldtimer, einen legendären Tornado, ein Spukhaus, ein vermisstes Pony, einen Schatz aus dem Bürgerkrieg, die Legende eines kopflosen Sklaven, ein tollwütiges Stinktier. Dazu kam der übliche Kram – Gerichtsverhandlungen, Wahlen, Verbrechen, neue Geschäfte, bankrotte Firmen, Neubürger der Stadt. Ich war es leid zu schreiben.
Und ich war Clanton leid. Die Stadt hatte mich zögerlich akzeptiert, vor allem, als klar war, dass ich nicht wieder wegziehen würde. Aber sie war sehr klein, und manchmal fühlte ich mich, als würde ich ersticken. Ich verbrachte so viele
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