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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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über eine Scheidung gesprochen hatte, aber nicht verpflichtet worden war. Mr Vince lebte in einem Trailer irgendwo in der Wildnis in der Nähe der Grenze zu Tishomingo County. Der Anwalt wusste nicht mehr, wo er arbeitete, war sich aber sicher, dass er die Adresse in der Akte in seiner Kanzlei hatte. Daraufhin griff der Bezirksstaatsanwalt persönlich zum Telefon und überredete den Anwalt, noch einmal ins Büro zu fahren.
    Um acht Uhr am nächsten Morgen, etwa um die Zeit, als ich Gingers Motel verließ, unterzeichnete Richter Loopus bereitwillig eine Vorladung für Malcolm Vince. Zwanzig Minuten später hielt ein Polizeibeamter in Corinth einen Gabelstapler in einem Lagerhaus an und teilte dem Fahrer mit, er sei als Zeuge in einem Mordprozess in Ford County geladen.
    205

    »Wieso das denn, zum Teufel?«, fragte Vince.
    »Ich führe nur Befehle aus«, erwiderte der Beamte.
    »Was soll ich jetzt tun?«
    »Sie haben zwei Möglichkeiten, Kumpel«, erklärte der Polizist. »Entweder bleiben wir beide hier, bis Sie abgeholt werden, oder wir fahren jetzt zusammen los und bringen die Sache hinter uns.« Malcolms Chef sagte, er solle mitfahren und so schnell wie möglich zurückkommen.
    Mit einer Verspätung von neunzig Minuten wurden die Geschworenen hereingeführt. Mr John Deere wirkte so adrett wie immer, aber die anderen fingen an, müde auszusehen. Man hatte das Gefühl, der Prozess zöge sich seit Monaten hin.
    Miss Callie suchte mit den Blicken nach mir und schenkte mir ein vorsichtiges Lächeln, das nicht so strahlend war, wie ich es von ihr kannte. Sie hielt eine kleine Ausgabe des Neuen Testaments umklammert.
    Gaddis erhob sich und teilte dem Gericht mit, er habe keine weiteren Fragen an Lydia Vince. Wilbanks erklärte, er sei ebenfalls mit ihr fertig. Dann sagte Gaddis, er habe einen Gegenzeugen, den er gern außer der Reihe aufrufen wolle. Lucien Wilbanks protestierte, und sie stritten sich am Richtertisch darüber. Als Wilbanks erfuhr, wer der Zeuge war, wirkte er sichtlich beunruhigt. Ein gutes Zeichen.
    Offenkundig befürchtete Richter Loopus ebenfalls ein Fehlurteil. Er entschied gegen die Verteidigung, und ein verstörter Malcolm Vince wurde in den überfüllten Sitzungssaal geführt, um seine Aussage zu machen. Da Gaddis keine zehn Minuten mit ihm in einem Hinterzimmer gesprochen hatte, war er ebenso unvorbereitet wie verwirrt.
    Gaddis begann langsam mit grundlegenden Fragen nach 206

    Name, Adresse, Beschäftigung, Familiengeschichte der letzten Jahre. Ziemlich widerstrebend gab Malcolm zu, mit Lydia verheiratet zu sein. Wie sie wollte er aus dieser Verbindung heraus. Er sagte, er habe seine Frau und sein Kind seit über einem Monat nicht gesehen. In der letzten Zeit sei er nur sporadisch beschäftigt gewesen, aber er versuche, ihr jeden Monat fünfzig Dollar für das Kind zu schicken.
    Er wusste, dass sie arbeitslos war, aber in einer schönen Wohnung lebte. »Sie zahlen nicht für die Wohnung?«, fragte Gaddis misstrauisch, wobei er die Geschworenen genau im Auge behielt.
    »Nein, Sir.«
    »Bezahlt die Familie Ihrer Frau für die Wohnung?«
    »Ihre Familie könnte sich nicht mal eine Nacht im Motel leisten«, verkündete Malcolm. Offenbar verschaffte ihm das tiefe Befriedigung.
    Lydia war aus dem Saal verschwunden, sobald man sie entlassen hatte, und verließ wahrscheinlich gerade das County. Ihr Auftritt war zu Ende, die Vorstellung vorbei, ihr Lohn bezahlt. Nie wieder würde sie einen Fuß nach Ford County setzen. Es war zweifelhaft, ob Malcolm Vince sich in ihrer Anwesenheit gezügelt hätte. So tat er sich auf jeden Fall keinen Zwang an: Ein billiger Schlag unter die Gürtellinie folgte auf den anderen.
    »Sie stehen ihrer Familie nicht nahe?«, fragte Gaddis überflüssigerweise.
    »Die meisten sitzen im Gefängnis.«
    »Ich verstehe. Gestern hat Ihre Frau ausgesagt, dass sie sich vor ein paar Monaten einen Ford Mustang Modell 1968 gekauft hat. Haben Sie ihr dafür Geld gegeben?«
    »Hab ich nicht.«
    207

    »Irgendeine Vorstellung, wie sich eine Arbeitslose so etwas leisten kann?«, erkundigte sich Gaddis mit einem Blick auf Danny Padgitt.
    »Nein.«
    »Wissen Sie, ob sie in letzter Zeit weitere ungewöhnliche Käufe getätigt hat?«
    Malcolm sah die Geschworenen an, entdeckte ein paar freundliche Gesichter und erwiderte: »Ja, sie hat sich einen neuen Farbfernseher gekauft und ihrem Bruder ein neues Motorrad.«
    Am Tisch der Verteidigung schien alles den Atem anzuhalten. Ihre Strategie war es

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