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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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hatte. Ich blickte zu ihr, atmete durch, suchte im Dunkeln nach dem Wecker auf dem Nachttisch, drückte die Leuchttaste, 2 . 54  Uhr, dachte: Großmutter, sprang aus dem Bett, bitte nicht Großmutter, und war beim Telefon, als der Anrufbeantworter Flox’ Ansage gerade zu Ende abgespult hatte, «… so bald wie möglich zurück», und nun die Stimme meiner Mutter aufnahm.
    «Sofia?», fragte sie den Anrufbeantworter, als sei sie erstaunt oder enttäuscht, weil ich um drei Uhr morgens nicht wartend vor dem Telefon sitze, und fügte unsicher hinzu: «Florian?», was mich dann auch ähnlich verwundert «Flox?» denken ließ, hatte er das Telefon nicht gehört? Also drehte ich mich zur geschlossenen Tür des Arbeitszimmers, in das er sich seufzend verzogen hatte, sobald er Annas tapsende Schritte gehört hatte, weil bei aller Familienromantik keine zwei Erwachsenen und ein sich drehendes Kind in unser Bett passten, und fragte mich, ob Flox wohl so fest schlief oder Ohrenstöpsel benutzte, anstatt einfach nur nach dem Hörer zu greifen und meine Mutter zu fragen, was denn mit meiner Großmutter sei.
    Meine Mutter hielt sich trotz der Uhrzeit mit Informationen bedeckt. «Ruft ihr bitte zurück, wenn ihr das gehört habt?», fragte sie und rief dann noch einmal nach mir, als befänden wir uns im selben Raum, ich hörte sie jedoch schlecht: «Sofia?»
    Ich nahm nun endlich ab. «Mama? Was ist passiert?»
    «Sofia?»
    «Ja, ich bin’s. Was ist denn passiert?»
    «Oh, Gott sei Dank. Ich dachte, ich erreiche dich nicht.»
    «Mama, was ist denn los?», hakte ich nach, etwas lauter nun, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich es wissen wollte, weil ich es schon zu wissen meinte.
    «Etwas Schreckliches ist passiert», begann meine Mutter, und ich wunderte mich, dass sie sich Zeit für eine Einleitung nahm, und fragte mich, ob sie das einstudiert hatte, ob Frank vielleicht gesagt hatte, sie solle es mir schonend beibringen. Meine Mutter sprach, und ich brauchte eine Weile, bis ich verstand. «Was? Wann? Wie? Warum?», fragte ich, weil mein Zustand längere Fragestellungen nicht zuließ, jede lauter als die vorangegangene, bis mit einem Schwung die Arbeitszimmertür aufgerissen wurde und Flox in Boxershorts und einem alten Skunk-Anansie-T-Shirt und mit zerzauster Mähne vor mir stand, den das Telefonklingeln offensichtlich nicht geweckt hatte, meine Fragen hingegen schon.
    Meine – Großmutter – war – weggelaufen.
    Einfach so. Wo sie doch kaum laufen konnte.
    Weggelaufen. Nicht mehr da. Niemand wusste, wo. Die Polizei war informiert. Der Direktor des Altenheims vor Ort. Meine Mutter vor Ort. Frank. Ein Arzt.
    Ein Arzt, wozu, fragte ich mich. Ein Arzt, für wen, sie war doch gar nicht da. Aber laut fragte ich das nicht, stattdessen erklärte ich Flox flüsternd, was meine Mutter mir eben mitgeteilt hatte, und reichte ihm den Telefonhörer, den er nicht nahm, weil er mir jetzt dieselben Fragen stellte, nur in einer anderen Reihenfolge: «Wie? Wann? Wohin?»
    Und dann: «Was ist passiert?»
    Ich hielt ihm den Telefonhörer hin, aber er starrte mich nur an und sah den Hörer wahrscheinlich nicht einmal, aus dem die Stimme meiner Mutter fragte, ob Flox das sei, ob er da sei, ob ich noch da sei, und sich dann abzuwenden schien, weil ich plötzlich neben ihrer Stimme noch eine männliche hörte, beide undeutlich als dumpfes Stimmengewirr, und ich wiederholte einfach nur für Flox, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte: «Meine Großmutter ist weggelaufen. Aus dem Heim. Die Polizei ist da. Und der Direktor auch.»
    Und Flox fragte: «Warum? Was kann der Direktor denn tun?»
    An den Rest erinnere ich mich nur vage, was vielleicht am Schock lag, vielleicht aber auch nur an der Uhrzeit oder an der Hektik. Irgendwie muss ich mich angezogen haben, muss ins Schlafzimmer gegangen sein und im Dunkeln leise Klamotten herausgeholt haben, damit Anna nicht aufwacht, oder hatte Flox das für mich getan? Noch davor muss ich das Gespräch mit meiner Mutter erst wiederaufgenommen und dann beendet haben, ihr gesagt haben, dass ich mich gleich auf den Weg ins Heim mache, und sie wird zugestimmt oder protestiert haben, und ich muss sie überzeugt haben, wenn der Direktor des Heims um zwei Uhr vierundfünfzig anwesend war, dann musste ich auch anwesend sein. Sehr wahrscheinlich war es Flox gewesen, der mir ein Taxi gerufen hatte, weil er es nicht für richtig hielt, mich in diesem Zustand und um diese Uhrzeit fahren zu lassen, und erst als

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