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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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seiner Schmerzen hörte Jean-Pierre fasziniert zu: Bestand womöglich doch noch eine Aussicht, Rache zu üben?
    »Wenn wir ihn fassen würden, könnte das fast aufwiegen, das Masud uns entgangen ist«, fuhr Anatoli fort, und in Jean-Pierre erwachte neue Hoffnung. »Dann hätten wir nicht nur den gefährlichsten Einzelagenten neutralisiert, über den die Imperialisten verfügen. Man bedenke nur: ein echter, lebender CIA-Mann, hier in Afghanistan gefasst … Drei Jahre lang hat die amerikanische Propagandamaschine behauptet, die afghanischen Banditen seien Freiheitskämpfer, die gegen die mächtige Sowjetunion einen heldenhaften David-gegen-Goliath-Kampf führen. Jetzt haben wir den Beweis für die Richtigkeit dessen, was wir schon die ganze Zeit erklärt haben. Dass Masud und die anderen nur Lakaien des amerikanischen Imperialismus sind. Wir können Ellis den Prozess machen…«
    »Aber die westlichen Zeitungen werden alles abstreiten«, sagte Jean-Pierre. »Die kapitalistische Presse -«
    »Wen kümmert der Westen? Es sind die bündnisfreien Länder, die schwankenden Nationen der Dritten Welt und vor allem die islamischen Nationen, die wir Beeindrucken wollen.«
    Ja, es war möglich, dachte Jean-Pierre: Noch ließ sich alles zum Triumph wenden, zum persönlichen Triumph, weil er es ja gewesen war, der die Russen vor der Anwesenheit eines CIA-Agenten im Fünf-Löwen-Tal gewarnt hatte.
    »Also«, fragte Anatoli, »wo ist Ellis heute Nacht?«
    »Er wird bei Masud sein, der seinen Standort ständig wechselt«, sagte Jean-Pierre. Ellis fassen, das war leichter gesagt als getan. Schließlich hatte Jean-Pierre ein ganzes Jahr gebraucht, bloß um Masud zu begegnen.
    »Es leuchtet mir nicht ein, warum er weiterhin bei Masud bleiben sollte«, sagte Anatoli.
    »Hatte er denn so etwas wie eine Basis?«
    »Ja. Er wohnte bei einer Familie in Banda, theoretisch jedenfalls. Er war nur selten dort.«
    »Trotzdem ist das offensichtlich die Stelle, wo man ansetzen muss .«
    Ja, natürlich, dachte Jean-Pierre. Falls Ellis nicht in Banda ist, wird vielleicht irgendwer wissen, wo er sich jetzt aufhält… Jane womöglich. Und falls sich Anatoli nach Banda aufmachte, um nach Ellis zu suchen, mochte er dabei auch Jane begegnen. Jean-Pierre spürte die Schmerzen kaum noch, als er sich klarmachte, dass das Spiel noch ganz und gar nicht verloren war.
    Im Gegenteil. Vielleicht würde er seinen Rachedurst am Establishment doch noch stillen können – und Ellis gefangen nehmen, der ihm seinen Triumph gestohlen hatte - und Jane und Chantal zurückbekommen. »Werde ich Sie nach Banda begleiten?« fragte er.
    Anatoli überlegte. »Ich glaube schon. Du kennst das Dorf und die Leute. Du könntest nützlich werden.«
    Jean-Pierre raffte sich mit aller Anstrengung hoch und verbiss sich mit zusammengepressten Zähnen die Schmerzen. »Wann brechen wir auf?«
    »Jetzt«, sagte Anatoli.

14
     
     
    ELLIS HETZTE WIE ein Wilder, um den Zug noch zu erwischen, und ihn packte panische Angst, obwohl er wusste , dass es nur ein Traum war. Zuerst konnte er keinen Platz finden, um sein Auto zu parken, er fuhr Gills Honda -, und dann war da nirgendwo ein Fahrkar-tenschalter. Also würde er es ohne Fahrkarte schaffen müssen. Er drängte sich durch die dichte Menschenmenge in der riesigen Bahnhofshalle der Grand zentral Station und erinnerte sich, dass er diesen Traum schon einmal geträumt hatte, mehrmals sogar und erst kürzlich wieder. Die Träume ließen ihn stets mit dem unerträglichen Gefühl zurück, dass alles Glück längst an ihm vorübergeglitten sei, unwiderruflich, und jetzt wühlte in ihm die Angst, dass es auch diesmal wieder geschehen würde. Immer verzweifelter bahnte er sich den Weg durch die Menge und erreichte endlich die Sperre zum Perron. In den Träumen zuvor war er immer hier stehen geblieben , weil der Zug bereits abgefahren war und man nur noch sehen konnte, wie der letzte Wagen in der Ferne verschwand.
    Heute jedoch stand der Zug noch da. Ellis lief den Bahnsteig entlang, der Zug setzte sich in Bewegung, und im letzten Moment sprang Ellis auf ein Trittbrett.
    Er war so froh, den Zug diesmal doch noch erwischt zu haben, ein Hochgefühl wallte in ihm auf. Er nahm seinen Sitz ein und wunderte sich nicht im Mindesten darüber, dass er in einem Schlafsack lag, zusammen mit Jane. Draußen vor den Zugfenstern brach über dem Fünf-Löwen-Tal der Tag an.
    Zwischen Schlaf und Wachzustand gab es keine scharfe Trennungslinie. Der Zug verblich

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