Die Löwen
Pakistan.«
Nach Pakistan! Was schwafelte der alte Narr da zusammen? »Die Routen sind doch geschlossen!« rief Jean-Pierre voller Ärger.
»Nicht die Butterfährte.«
» Mon dieu «, sagte Jean-Pierre unwillkürlich in seiner Muttersprache. »Die Butterfährte!«
Dazu gehörte viel Mut, und das beeindruckte ihn tief; gleichzeitig war er bitter enttäuscht, denn jetzt würde es unmöglich sein, sie zu finden. »Haben sie das Baby mitgenommen?«
»Ja.«
»Dann werde ich meine Tochter niemals wieder sehen.« »Sie werden alle in Nuristan sterben«, sagte Abdullah voller Genugtuung. »Eine westliche Frau mit einem Baby wird die Strapazen auf den Hochpässen niemals überleben, und der Amerikaner wird bei dem Versuch umkommen, sie zu retten. So bestraft Gott die, welche der irdischen Gerechtigkeit entgehen wollen.«
Jean-Pierre begriff, dass er so schnell wie möglich zum Hubschrauber zurückkehren musste . »Geh jetzt zu deinem Haus«, sagte er zu Abdullah.
»Mit ihnen wird auch der Vertrag vernichtet werden, denn Ellis hat das Papier«, fügte Abdullah hinzu. »Und das ist gut so. Obwohl wir die amerikanischen Waffen brauchen, ist es gefährlich, mit Ungläubigen Verträge zu schließen.«
»Geh jetzt!« sagte Jean-Pierre. »Wenn du nicht willst, dass deine Familie mich sieht, so sorge dafür, dass alle ein paar Minuten im Haus bleiben.« Für einen Augenblick wirkte Abdullah sehr empört, weil dieser Europäer es wagte, ihm Befehle zu geben, doch die Pistole in Jean-Pierres Hand brachte ihn zur Besinnung. Gehorsam eilte er davon.
Jean-Pierre dachte über Abdullahs triumphierende Worte nach. Würden sie wirklich alle in Nuristan umkommen, wie der Mullah voraussagte? Es war gewiss nicht das, was Jean-Pierre sich wünschte. Wenn ihm die Vergeltung versagt blieb, konnte er keine Genugtuung empfinden. Er wollte seine Tochter wiederhaben. Und er wollte Jane, lebend und in seiner Gewalt. Außerdem sollte Ellis erfahren, was es bedeutete, wirkliche Schmerzen und wirkliche Demütigung erleiden zu müssen.
Er ließ Abdullah genügend Zeit, zu seinem Haus zu gelangen. Dann zog er sich die Kapuze übers Gesicht und
setzte sich entmutigt in Bewegung. Als er am Haus des Mullahs vorüberkam, wandte er sein Gesicht ab für den Fall, dass eines der Kinder herausschaute.
Anatoli wartete auf ihn vor den Höhlen. Er streckte die Hand vor, um seine Pistole wieder an sich zu nehmen, und fragte: »Nun?«
Jean-Pierre reichte ihm die Pistole. »Sie sind uns entkommen«, sagte er. »Sie haben das Tal verlassen.«
»Sie können uns nicht entkommen sein«, erwiderte Anatoli wütend. »Wo sind sie hin?«
»Nach Nuristan.« Jean-Pierre deutete auf die Hubschrauber. »Sollten wir nicht losfliegen?«
»In den Hubschraubern können wir nicht miteinander sprechen.«
»Aber falls die Dörfler kommen – «
»Zum Teufel mit den Dörflern! Und hör auf, alles verloren zu geben! Was wollen sie in Nuristan?«
»Ihr Ziel ist Pakistan, das sie über eine Route erreichen wollen, die als Butterfährte bekannt ist.«
»Wenn wir ihre Route kennen, können wir sie auch finden.«
»Das glaube ich nicht. Es ist eine Richtung, aber es gibt verschiedene Wege.«
»Die werden wir alle überfliegen.«
»Aus der Luft sieht man gar nichts. Ohne einheimische Führer sieht man den Pfad selbst am Boden kaum.«
»Wir können Karten benutzen -«
»Was für Karten?« fragte Jean-Pierre. »Ich habe eure Karten gesehen, und die sind nicht besser als die amerikanischen, die die besten verfügbaren sind.«
»Du bist zu leicht entmutigt, mein Freund. Denk nach! Wenn Ellis einen einheimischen Führer finden kann, der ihm die Route zeigt, dann kann ich das auch.«
War dies eine reelle Möglichkeit? fragte sich Jean-Pierre. »Wie ich schon sagte, gibt’s da mehr als nur einen Weg.«
»Nehmen wir an, es gibt zehn Varianten. Dann brauchen wir zehn einheimische Führer, um zehn verschiedene Suchtrupps zu führen.«
Jean-Pierres Stimmung schlug vollkommen um. Vielleicht konnte sein Wunsch doch noch wahr werden: der Wunsch, Jane und Chantal wiederzuhaben und Ellis gefangen zu sehen. »Keine schlechte Idee«, sagte er. »Vielleicht können wir unterwegs neue Informationen erhalten. Wenn wir erst mal aus diesem gottverdammten Tal raus sind, finden wir wahrscheinlich auch Leute, die uns was verraten. Die Nuristanis sind in den Krieg ja nicht so sehr verwickelt wie die Menschen hier.«
»Gut«, sagte Anatoli abrupt. »Es wird dunkel. Wir haben heute Nacht noch
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