Die Löwen
vom Hang her plötzlich einige Guerillas auftauchten und sahen, wie er Abdullah mit der Pistole bedrohte? Im Tal kannte ihn buchstäblich jeder. Die Neuigkeit, dass er in Begleitung der Russen Banda einen › Besuch ‹ abgestattet hatte, würde sich in Windeseile herumgesprochen haben. Zweifellos wussten die meisten inzwischen, dass er ein Spion war. Und bestimmt galt er jetzt als eine Art Volksfeind Nummer eins. Man würde ihn in Stücke reißen.
Vielleicht versuchen wir, allzu raffiniert vorzugehen, dachte er. Vielleicht wäre es besser, einfach zu landen, Abdullah an Bord zu nehmen und die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln.
Nein, das haben wir gestern versucht – ohne Erfolg. Uns bleibt nur diese Möglichkeit.
Anatoli gab dem Piloten die Kopfhörer zurück, der sich auf seinen Sitz schwang und die Motoren warmlaufen ließ. Während sie warteten, zog Anatoli seine Pistole hervor und zeigte sie Jean-Pierre.
»Es ist eine 9-mm-Makarow«, rief er in den Lärm. Am unteren Ende des Pistolengriffs drückte er die Sperre zurück und zog das Magazin heraus. Es enthielt acht Patronen. Er schob das Magazin wieder in den Griff. Dann deutete er auf die linke Seite der Pistole.
Dort befand sich eine Art Hebel. »Dies ist der Sicherungsflügel. Bedeckt er den roten Punkt, so kann kein Schuss losgehen; die Pistole ist gesichert.« Die Waffe in der linken Hand haltend, zog er mit der rechten das Metallstück hinter dem Pistolenlauf zurück. »So wird die Pistole gespannt.« Er ließ das zurückgezogene Metallstück los, und blitzschnell ruckte es wieder in seine vorherige Position. »Wenn du feuerst, zieh den Drücker lang durch, damit sich die Pistole wieder spannt.« Er reichte Jean-Pierre die Waffe.
Er vertraut mir tatsächlich, dachte Jean-Pierre, und für einen Augenblick empfand er ein wärmendes Gefühl, das die kalte Furcht in ihm überdeckte.
Die Hubschrauber hoben ab. Sie folgten dem Fünflöwenfluss in südwestlicher Richtung, das Tal hinab. Jean-Pierre dachte nach. Eigentlich, fand er, waren Anatoli und er ein ausgezeichnetes Team. Anatoli erinnerte ihn an seinen Vater: ein kluger, entschlossener, mutiger Mann, dem Weltkommunismus in unerschütterlicher Treue ergeben. Falls wir hier Erfolg haben, dachte Jean-Pierre, werden wir wahrscheinlich zusammenarbeiten können, auf irgendeinem anderen Schlachtfeld. Die Vorstellung gefiel ihm ganz außerordentlich.
Bei Dascht-i-Rewat, wo das untere Tal begann, drehten die Hubschrauber in südöstliche Richtung und folgten dem Nebenfluss Rewat stromaufwärts in die Hügel, um sich Banda von der Bergseite her zu nähern.
Anatoli benutzte wieder die Kopfhörer des Piloten; dann rief er Jean-Pierre ins Ohr: »Sie sind bereits alle in der Moschee. Wie lange wird die Frau des Mullahs brauchen, um ihr Haus zu erreichen?«
»Fünf bis zehn Minuten«, schrie Jean-Pierre zurück. »Wo willst du abgesetzt werden?«
Jean-Pierre überlegte. »Alle Dorfbewohner sind in der Moschee, ja?«
»Ja.«
»Hat man auch in den Höhlen nachgesehen?« Anatoli ließ sich nochmals mit seinen Leuten vor Ort verbinden und sagte dann zu Jean-Pierre: »Man hat auch die Höhlen überprüft.«
»Okay. Dann setzt mich dort ab.«
»Wie viel Zeit wirst du brauchen, um zu deinem Versteck zu gelangen?«
»Gib mir zehn Minuten; lass dann die Frauen und Kinder frei, warte weitere zehn Minuten und lass dann die Männer raus.«
»In Ordnung.«
Der Hubschrauber sank tiefer, bis in den Schatten des Berges. Der Nachmittag neigte sich seinem Ende zu, doch bis zum Einbruch der Dunkelheit blieb noch etwa eine Stunde.
Sie landeten hinter dem Bergkamm, nur wenige Meter von den Höhlen entfernt. Anatoli sagte zu Jean-Pierre: »Geh noch nicht. Lass uns erst noch mal die Höhlen überprüfen.«
Durch die offene Tür sah Jean-Pierre, wie ein zweiter Kampfhubschrauber landete. Sechs Mann sprangen heraus und liefen über den Kamm.
»Wie soll ich euch signalisieren, wenn’s so weit ist, dass ihr herunterkommen und mich an Bord nehmen könnt?« fragte Jean-Pierre.
»Wir werden hier auf dich warten.«
»Und was macht ihr, falls vor meiner Rückkehr ein paar Dörfler hier heraufkommen?«
»Sie erschießen.«
Der Erkundungstrupp kehrte über den Kamm zurück, und einer der Männer signalisierte: Alles klar.
»Geh«, sagte Anatoli.
Jean-Pierre öffnete die Tür und sprang. Mit eingezogenem Kopf eilte er unter den rotierenden Drehflügeln fort. Als er den Kamm erreichte, warf er einen Blick zurück: Beide
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