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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sind.«
    Jean-Pierre dachte nach. »Wenn ihnen jemand geholfen hat, dann vermutlich die Guerillas – weil die am besten zu schweigen verstehen.«
    »Trotzdem könnten andere davon wissen.«
    »Vielleicht. Aber würden die es verraten?«
    »Unsere Flüchtlinge haben bestimmt auch irgendwelche Feinde«, beharrte Anatoli.
    Jean-Pierre schüttelte den Kopf. »Ellis ist nicht lange genug hier gewesen, um sich Feinde gemacht zu haben, und Jane ist eine Heldin – man behandelt sie wie eine Art heilige Johanna. Es gibt niemanden, der sie nicht mag - oh!« Plötzlich fiel ihm ein, dass das nicht stimmte. »Nun?«
    »Der Mullah.«
    »Aaah.«
    »Aus irgendeinem Grund ist er wütend auf sie. Wahrscheinlich, weil sie bei Kranken mehr Erfolg hatte als er. Aber das kann nicht der einzige Grund gewesen sein, denn ich war ja auch erfolgreich, aber mir gegenüber zeigte er niemals eine besondere Abneigung.«
    »Bestimmt hat er sie eine westliche Hure genannt.«
    »Woher weißt du das?«
    »Das tun sie doch alle. Wo wohnt dieser Mullah?«
    »Abdullah wohnt in Banda, in einem Haus ungefähr einen halben Kilometer außerhalb des Dorfes.«
    »Wird er reden?«
    »Vielleicht hasst er Jane so sehr, dass er sie an uns verraten würde«, sagte Jean-Pierre-nachdenklich . »Allerdings dürfte er dabei nicht gesehen werden. Wir können nicht einfach im Dorf landen und ihn mitnehmen - jeder würde wissen, was passiert ist, und Abdullah würde schweigen. Ich müsste ihn irgendwie heimlich treffen …« Blitzartig ging ihm durch den Kopf, dass er sich Ungewissen Gefahren aussetzen würde, aber dann dachte er an die erlittene Demütigung. Die Rache war jedes Risiko wert. »Wenn ihr mich in der Nähe des Dorfes absetzt, kann ich den
    Weg zwischen dem Dorf und seinem Haus erreichen und mich verstecken, bis er vorbeikommt.«
    »Und falls er nun den ganzen Tag nicht › vorbeikommt ‹ ?«
    »Ja…«
    »Wir müssen dafür sorgen, dass er kommt.« Anatoli runzelte die Stirn. »Wir werden die Dorfbewohner, genau wie zuvor, in der Moschee zusammentreiben – und sie dann bald wieder gehen lassen. Abdullah wird mit ziemlicher Sicherheit zu seinem Haus zurückgehen.«
    »Aber wird er allein sein?«
    »Angenommen, wir lassen die Frauen zuerst gehen und befehlen ihnen, nach Hause zurückzukehren. Wenn wir dann die Männer freilassen, werden sie alle nach ihren Frauen sehen wollen. Wohnt irgendwer in Abdullahs Nähe?«
    »Nein.«
    »Dann wird er den Weg alleine gehen. Du trittst hinter einem Busch hervor – «
    »Und er schlitzt mir die Kehle von einem Ohr zum anderen auf.«
    »Er trägt ein Messer bei sich?«
    »Hast du schon mal einen Afghanen gesehen, der keins bei sich hat?«
    Anatoli zuckte die Achseln. »Du kannst meine Pistole haben.«
    Es überraschte und schmeichelte Jean-Pierre, eine solche Waffe anvertraut zu bekommen, obgleich er nicht wusste , wie man mit einer Pistole umging. »Ich werde auch afghanische Kleidung brauchen, für den Fall, dass ich von anderen gesehen werde. Und was ist, wenn ich jemandem begegne, der mich kennt? Ich werde mein Gesicht mit einem Schal oder dergleichen bedecken müssen …«
    »Kein Problem«, sagte Anatoli. Er rief etwas auf russisch, und drei der Soldaten sprangen auf. Sie verschwanden in den Häusern und kehrten wenige Sekunden später mit dem alten Pferdehändler zurück. »Du kannst seine Kleidung nehmen«, sagte Anatoli.
    »Gut«, sagte Jean-Pierre. »Die Kapuze wird mein Gesicht verbergen.« In der Dari-Sprache rief er dem Alten zu: »Zieh dich aus!«
    Der Mann begann zu protestieren: Nacktheit war für Afghanen etwas schrecklich Beschämendes. Anatoli gab auf russisch einen knappen Befehl, und die Soldaten warfen den Mann zu Boden und zogen ihm das Nachthemd aus. Alle brüllten vor Gelächter über die stockdünnen Beine, die aus der zerlumpten Unterhose ragten. Die Soldaten ließen ihn los, und eilends machte er sich davon, die Hände vor dem Schoß, was alle noch mehr zum Lachen brachte.
    Jean-Pierre war zu nervös, um die Szene komisch zu finden. Er zog seine europäische Kleidung aus, Hose und Hemd, und schlüpfte in das Hemd des Alten. »Du riechst nach Pferdepisse«, sagte Anatoli. »Von innen ist es noch schlimmer«, erwiderte Jean-Pierre.
    Sie kletterten in ihren Hubschrauber. Anatoli setzte sich die Kopfhörer des Piloten auf und sprach eine Zeit lang auf russisch ins Funkmikrofon . Jean-Pierre fühlte eine starke Beklemmung bei dem Gedanken an das, was ihm bevorstand. Was mochte passieren, wenn

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