Die Löwen
ohnmächtig geworden.«
Sie setzte sich auf. »Ich werde gleich wieder in Ordnung sein.«
»Nein, wirst du nicht«, widersprach Ellis. »Du kannst heute nicht mehr weiter.«
Janes Kopf fühlte sich jetzt klarer. Sie wusste , dass Ellis recht hatte. Ihr Körper konnte keine weiteren Strapazen ertragen, da half auch alle Willenskraft nichts. Sie sprach französisch, damit auch Mohammed verstehen konnte. »Aber die Russen werden doch sicher heute noch hier sein.
»Wir werden uns verstecken müssen«, sagte Ellis. Mohammed sagte: »Seht euch diese Leute an. Glaubt ihr, die können ein Geheimnis für sich behalten.«
Jane blickte zu Halam und zu der Frau. Die Ankunft der Fremden war für sie wahrscheinlich das aufregendste Ereignis des ganzen Jahres. In ein paar Minuten würde das ganze Dorf hier sein. Jane betrachtete Halam. Ihn bitten, ein Geheimnis für sich zu behalten? Genauso gut konnte man versuchen, einem Hund das Bellen zu verbieten. Wo immer die Flüchtigen auch unterschlüpfen mochten: Noch vor Einbruch der Nacht würde ganz Nuristan darüber im Bilde sein. War es überhaupt möglich, sich von diesen Leuten zu entfernen und unbeobachtet ein Seitental zu durchqueren? Vielleicht. Nur konnte die kleine Gruppe nicht mehr sehr lange ohne die Hilfe der Einheimischen auskommen - ihr Proviant würde zu Ende gehen. Und wenn die Russen dann entdeckten, dass die Flüchtigen gestoppt hatten, würden sie anfangen, die Wälder und Schluchten zu durchsuchen. Ellis hatte nur allzu recht gehabt mit seiner Feststellung, dass ihre einzige Hoffnung darin bestehe, den Verfolgern stets voraus zu sein.
Mohammed sog kräftig an seiner Zigarette. Nachdenklich blickte er vor sich hin, sagte dann zu Ellis: »Du und ich, wir müssen weiter. Wir müssen Jane zurücklassen.« »Nein«, sagte Ellis.
Mohammed sagte: »Das Papier, das du bei dir hast und das die Unterschriften von Masud, Kamil und Azizi trägt, ist wichtiger als ein Menschenleben. Es verkörpert die Zukunft Afghanistans - die Freiheit, für die mein Sohn gestorben ist.«
Ja, dachte Jane, Mohammed hatte recht. Ellis musste ohne sie weiter. Wenigstens er konnte gerettet werden. Sie schämte sich der schrecklichen Verzweiflung, die sie empfand bei dem Gedanken, ihn zu verlieren. Statt sich zu fragen, wie sie mit ihm zusammenbleiben konnte, sollte sie lieber überlegen, wie ihm bei seiner Flucht am besten zu helfen war. Plötzlich hatte sie eine Idee. »Ich könnte die Russen ablenken«, sagte sie. »Und nach einem bisschen gemimten Widerstand könnte ich mich von ihnen gefangen nehmen lassen. Ich könnte Jean-Pierre alle möglichen Falschinformationen geben, was dich betrifft … wohin du willst, und aufweiche Weise du reist… Falls es mir gelänge, sie völlig in die Irre zu führen, könntest du vielleicht mehrere Tage Vorsprung gewinnen -genug, um heil aus dem Land herauszukommen!« Sie begeisterte sich für die Idee, während sie gleichzeitig im tiefsten Herzen dachte: Verlass mich nicht, bitte, Verlass mich nicht.
Mohammed blickte Ellis an. »Es ist die einzige Möglichkeit, Ellis«, sagte er.
» Vergiss es«, sagte Ellis. »Das kommt überhaupt nicht infrage .«
»Aber, Ellis…«
»Es kommt nicht infrage «, wiederholte Ellis. » Vergiss es.« Mohammed schwieg. Jane fragte: »Aber was sollen wir tun?«
»Heute werden uns die Russen nicht einholen«, sagte Ellis. »Wir haben noch immer einen Vorsprung - schließlich sind wir heute Morgen sehr früh aufgebrochen. Wir werden hier übernachten und wieder ganz früh aufbrechen. Macht euch das klar: Es ist nicht zu Ende, bevor es nicht zu Ende ist. Tausend Dinge können passieren. Vielleicht findet irgendwer in Moskau, dass Anatoli übergeschnappt ist, und bläst die Suchaktion ab.«
»Quatsch«, sagte Jane auf englisch, doch allen Verstandesgründen zum Trotz war sie insgeheim froh, dass er sich weigerte, ohne sie weiterzuziehen.
»Ich habe einen Alternativvorschlag«, sagte Mohammed. »Ich werde umkehren und die Russen ablenken.«
Jane hielt unwillkürlich den Atem an. War dies eine echte Möglichkeit?
Ellis fragte: »Wie willst du das machen?«
»Ich werde mich ihnen als ihr Führer und Dolmetscher anbieten und sie in südlicher Richtung das Nuristantal hinabführen, von euch weg, zum Mundol-See.«
Leider, so ging es Jane durch den Kopf, hat die Sache einen Haken. Sie sagte: »Aber die haben doch bestimmt schon einen Führer.«
»Aber es ist doch möglich, dass es sich um einen guten Mann aus dem
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