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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Kehle durchschnitten worden: Die Wunde klaffte grauenerregend, und der Kopf, kaum noch mit dem Körper verbunden, lag ganz schräg. Das Blut war getrocknet.
    »Ist das Mohammed, der Führer?« fragte Jean-Pierre.
    »Nein«, erwiderte Anatoli. Er befragte einen der Soldaten, sagte dann: »Es ist sein Vorgänger - der, der auf einmal verschwand.«
    Jean-Pierre sprach langsam zu den Dörflern; er versuchte es mit Dari. »Was geht hier vor?«
    Nach einer Pause erwiderte ein runzliger, alter Mann, mit einem schlimmen Verschluss des rechten Auges, in derselben Sprache. »Er ist ermordet worden!«
    Jean-Pierre begann ihn zu befragen und Stück für Stück ließ sich die Geschichte zusammensetzen. Der Tote war ein Dörfler aus dem Linar-Tal, den die Russen gezwungen hatten, dem Suchtrupp als Führer zu dienen. Seine Leiche, in einem Gebüsch notdürftig verborgen, war von dem Hund eines Ziegenhirten aufgespürt worden. Die Familie des Mannes glaubte, die Russen hätten ihn ermordet; die Angehörigen hatten die Leiche an diesem Morgen hergebracht, um die Gründe zu erfahren.
    Jean-Pierre erklärte Anatoli den Sachverhalt. »Sie sind so empört, weil sie meinen, deine Leute hätten ihn getötet«, Schloss er. »Empört?« sagte Anatoli. »Wissen sie nicht, dass ein Krieg im Gange ist? Jeden Tag werden Menschen getötet - das hat ein Krieg nun mal so an sich.«
    »Die haben hier offenbar kaum irgendwelche Kampfhandlungen erlebt. Habt ihr ihn umgebracht?«
    »Das werde ich herausbekommen.« Anatoli sprach zu den Soldaten. Mehrere antworteten zugleich, sehr lebhaft und mit viel Gestik.
    »Wir haben ihn nicht getötet«, übersetzte Anatoli für Jean-Pierre.
    »Wer aber dann, frage ich mich. Könnte es sein, dass die Einheimischen unsere Führer ermorden wegen Kollaboration mit dem Feind?«
    »Nein«, sagte Anatoli. »Wenn sie Kollaborateure hassten , würden sie sich wegen dem Mord an diesem Mann nicht so sehr erregen. Sag ihnen, dass wir damit nichts zu tun haben - beruhige sie.«
    Jean-Pierre sprach zu dem Einäugigen. »Die Fremden haben diesen Mann nicht getötet.
    Sie möchten selber wissen, wer ihn ermordet hat.« Der Einäugige übersetzte es, und die Dörfler reagierten mit Verwirrung.
    Anatoli wirkte nachdenklich. »Vielleicht hat der verschwundene Mohammed diesen Mann umgebracht, um den Job als Führer zu bekommen.« »Bezahlt ihr viel?« wollte Jean-Pierre wissen. »Das glaube ich kaum.« Anatoli fragte einen Unteroffizier und übersetzte dessen Antwort. »Fünfhundert Afghanis pro Tag.«
    »Eine gute Bezahlung für einen Afghanen, aber kaum einen Mord wert – allerdings heißt es ja, ein Nuristani sei bereit, einen Menschen schon wegen seiner Sandalen umzubringen, falls sie neu sind.«
    »Frag sie, ob sie wissen, wo dieser Mohammed jetzt ist.«
    Jean-Pierre fragte. Es gab einiges Palaver. Die meisten Dörfler schüttelten den Kopf, aber ein Mann erhob seine Stimme über die der anderen und deutete beharrlich nach Norden. Schließlich sagte der Einäugige zu Jean-Pierre: »Er hat das Dorf heute früh verlassen. Abdul sah ihn nordwärts ziehen.«
    »War das, bevor oder nachdem die Angehörigen die Leiche hierher gebracht hatten?«
    »Bevor.«
    Jean-Pierre übersetzte für Anatoli und fügte hinzu: »Ich frage mich, weshalb er dann fortgegangen ist.«
    »Verdächtig ist es jedenfalls.«
    »Er muss sofort aufgebrochen sein, nachdem er heute Morgen mit dir gesprochen hat. Es sieht fast so aus, als habe er sich meinetwegen aus dem Staube gemacht.«
    Anatoli nickte nachdenklich. »Wie auch immer – ich glaube, dass er etwas weiß, was wir nicht wissen. Am besten verfolgen wir ihn. Schade, wenn wir dabei etwas Zeit verlieren – aber das können wir uns leisten.«
    »Wie lange ist es her, dass du mit ihm gesprochen hast?«
    Anatoli warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Etwas über eine Stunde.«
    »Dann kann er noch nicht weit sein.«
    »Richtig.« Anatoli wandte sich seinen Leuten zu und gab ihnen eine Reihe von Befehlen.
    Die Soldaten wirkten plötzlich wie elektrisiert. Zwei von ihnen nahmen den Einäugigen in ihre Mitte und gingen mit ihm zum Feld. Ein weiterer lief auf die Hubschrauber zu. Anatoli nahm Jean-Pierres Arm, und mit schnellen Schritten folgten sie den Soldaten. »Wir nehmen den Einäugigen mit für den Fall, dass wir einen Dolmetscher brauchen«, sagte Anatoli.
    Als sie das Feld erreichten, waren die beiden Hubschrauber startbereit. Anatoli und Jean-Pierre kletterten in die Maschine, in der sich bereits

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