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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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der Einäugige befand. Der Mann war ängstlich und aufgeregt. Zweifellos würde er dieses Abenteuer bis ans Ende seiner Tage wieder und wieder erzählen.
    Wenig später hoben sie ab. Anatoli und Jean-Pierre standen nahe der offenen Tür und blickten hinab. Ein ausgetretener und deutlich sichtbarer Pfad führte vom Dorf den Hügel hinauf, wo er zwischen den Bäumen verschwand. Anatoli sprach in das Funkgerät des Piloten und sagte dann zu Jean-Pierre: »Ich habe ein paar Soldaten befohlen, den Wald dort zu durchkämmen. Kann sein, dass er sich da irgendwo verborgen hält.«
    Für ein oder zwei Kilometer flogen sie parallel zum Fluss , dann erreichten sie die Mündung des Linar. War Mohammed weiter das Tal hinauf gegangen, in das kalte Herz von Nuristan, oder hatte er sich ostwärts gewandt, ins Linar-Tal - in Richtung des Fünf-Löwen-Tal s ?
    Jean-Pierre fragte den Einäugigen: »Woher kam dieser Mohammed?«
    »Das weiß ich nicht«, lautete die Antwort. »Aber er war ein Tadschike.«
    Daraus ließ sich folgern, dass er eher aus dem Linar-Tal stammte als aus dem Nuristantal . Jean-Pierre erklärte das Anatoli, und Anatoli gab dem Piloten die Anweisung, nach links zu fliegen und dem Linar zu folgen.
    Dies ist, dachte Jean-Pierre, ein anschaulicher Beweis dafür, dass die Suche nach Ellis und Jane nicht per Hubschrauber durchgeführt werden kann. Mohammed hat nur eine Stunde Vorsprung, und es ist sehr wohl möglich, dass wir seine Spur bereits verloren haben.
    Wenn Ellis und Jane einen ganzen Tag Vorsprung haben, gibt es ganz einfach zu viele Möglichkeiten, zu viele verschiedene Pfade und zu viele Verstecke.
    Falls es im Linar-Tal eine Fährte gab, so war sie jedenfalls aus der Luft nicht zu erkennen. Der Hubschrauberpilot folgte einfach dem Fluss . Die Abhänge hatten keine Vegetation, waren aber auch nicht mit Schnee bedeckt. Falls sich der Flüchtige dort befand, so konnte er sich nirgends verstecken.
    Wenige Minuten später entdeckten sie ihn.
    Das weiße Gewand und der weiße Turban hoben sich deutlich vom graubraunen Boden ab. Der Mann wanderte den Felskamm entlang, seine Habseligkeiten in einem Beutel über der Schulter, während seine Füße in gleichmäßigem, unermüdlichem Tempo ausschritten, wie es für afghanische Reisende so typisch war. Als er die Geräusche der Hubschrauber hörte, blieb er kurz stehen, blickte sich nach ihnen um und ging dann weiter.
    »Ist er das?« fragte Jean-Pierre.
    »Ich glaube ja«, erwiderte Anatoli. »Wir werden’s bald wissen.« Er nahm die Kopfhörer des Piloten und sprach mit dem anderen Hubschrauber. Der flog voraus, über den Mann hinweg und landete dann ungefähr hundert Meter vor ihm. Unbekümmert schritt er darauf zu.
    »Warum landen wir nicht auch?« fragte Jean-Pierre.
    »Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, sagte Anatoli.
    Die Seitentür des anderen Hubschraubers öffnete sich, und sechs Soldaten sprangen heraus. Der Mann in Weiß ging auf sie zu und nahm seinen Beutel von der Schulter. Es war ein länglicher von der Art eines militärischen Kleidersacks, und als Jean-Pierre ihn sah, stieg eine vage Ahnung in ihm auf. Aber schon hielt Mohammed seinen Beutel hoch - und plötzlich wusste Jean-Pierre, was der Mann vorhatte. Er öffnete den Mund, um seine Warnung hinauszuschreien, eine nutzlose Warnung.
    Es war wie im Traum, als liefen alle Bewegungen unter Wasser ab: Alles geschah sehr langsam dort unten, doch Jean-Pierres Lippen bewegten sich noch langsamer. Bevor er Wörter formen konnte, sah er, wie der Lauf einer Schusswaffe aus dem Beutel hervortauchte.
    Durch den Hubschrauberlärm hindurch konnte man die Schüsse nicht hören. Einer der russischen Soldaten griff mit beiden Händen nach seinem Bauch und stürzte kopfüber, ein anderer schleuderte seine Arme hoch und fiel nach hinten, und das Gesicht eines dritten explodierte förmlich. Die übrigen drei schafften es, ihre Waffen zu heben. Einer starb, bevor er feuern konnte, doch die anderen beiden entfachten ein wahres Trommelfeuer, und noch während Anatoli »Njet! Njet! Njet!« ins Mikrofon des Funkgeräts schrie, wurde Mohammeds Körper hochgerissen und rückwärts geschleudert.
    Noch immer schrie Anatoli wütend ins Mikrofon . Rasch verlor der Hubschrauber an Höhe. Jean-Pierre spürte, dass er vor Aufregung zitterte. Der Anblick des blutigen Kampfes wirkte auf ihn wie eine Dosis Kokain.
    Der Hubschrauber setzte auf. Anatoli nahm die Kopfhörer ab und sagte ärgerlich: »Jetzt werden wir niemals erfahren, warum

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